2018 – das Schlüsseljahr für die Sektorenkopplung?

Gastautor Portrait

Prof. Dr. Werner Beba

Koordinator und Leiter des Projektmanagements für das Verbundprojekt NEW 4.0

Prof. Dr. Werner Beba ist Koordinator und Leiter des Projektmanagements für das Verbundprojekt NEW 4.0 sowie Leiter des Competence Centers für Erneuerbare Energien und Energieeffizienz (CC4E) der HAW Hamburg. Ferner ist er Aufsichtsratsvorsitzender des Windenergie-Unternehmens UMaAG, Geschäftsführer der CC4E-Windenergie UG sowie Sprecher des Energienetzbeirats des Hamburger Senats. Seit Juli 2017 ist Professor Beba außerdem Sprecher des EFH (Energieforschungsverbund Hamburg).

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07. März 2018
Prof. Dr. Werner Beba

Will man die Zukunft unserer Energieversorgung prognostizieren, lohnt sich ein Blick in Deutschlands hohen Norden: Mit 46.000 Anlagen zur Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien bildet Schleswig-Holstein als nördlichstes aller Bundesländer eine bedeutende Erzeugungsregion, insbesondere in Hinblick auf Windenergie. Der benachbarte Stadtstaat Hamburg als pulsierende Hafenstadt mit energieintensiver Großindustrie ist dagegen eine große Lastregion.

Der Norden als Modellregion

Sektorenkopplung: NEW 4.0 verbindet mit der Metropolregion Hamburg und dem Küstenland Schleswig-Holstein eine Verbrauchsregion mit einer Erzeugungsregion für Windenergie.
NEW 4.0 verbindet mit der Metropolregion Hamburg und dem Küstenland Schleswig-Holstein eine Verbrauchsregion mit einer Erzeugungsregion für Windenergie. Bild: NEW 4.0

Verbindet man beide Länder zu einer Modellregion, wie es das vom Wirtschaftsministerium im Rahmen des SINTEG-Programms geförderte Verbundprojekt NEW 4.0 – Norddeutsche Energiewende tut, könnte hier bereits heute rein rechnerisch 40 Prozent des Stromverbrauchs über erneuerbare Energien abgedeckt werden. Damit erreicht Deutschlands Norden schon jetzt die Ausbauziele für das Jahr 2025 und ist der Entwicklung der Energiewende also fast zehn Jahre voraus.

Rund 60 Partner aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik wollen in NEW 4.0 nun gemeinsam aufzeigen, wie sich die Region bis 2035 sogar zu 100 Prozent mit Strom aus erneuerbarer Energie versorgen ließe. Denn die Modellregion ist ein idealer Prototyp, um in den nächsten Jahren zu demonstrieren, wie die Energiewende umsetzbar ist. Aber sie zeigt auch deren große Herausforderungen. Eine davon liegt in der Einbindung des Wärme- und Mobilitätssektors.

Strom, der aus erneuerbaren Quellen stammt, steht ganz klar im Mittelpunkt des zukünftigen Energiesystems. Bislang kommt dieser Strom in erster Linie zum Einsatz, um Privathaushalte und Unternehmen mit Elektrizität zu versorgen. Aber der Stromverbrauch macht deutschlandweit nur rund einen Drittel unseres Energieverbrauchs aus. Der Rest entfällt auf den Wärmebereich und die Mobilität. Zur Erreichung der Pariser Klimaschutzziele müssten die Sektoren Strom, Wärme und Verkehr bis Mitte des Jahrhunderts vollständig dekarbonisiert werden. Umso wichtiger ist es, jetzt die Weichen für die Sektorenkopplung zu stellen.

Strom flexibel nutzen und umwandeln statt Erzeugeranlagen abzuregeln

Das übergeordnete Ziel muss es sein, jede Kilowattstunde erneuerbaren Strom auch zu nutzen. Und zwar auch dann, wenn das Stromnetz nicht mehr aufnahmefähig ist. Bei uns im Norden werden Windenergieanlagen bei Überproduktion heute oft abgeregelt, was hohe Kosten verursacht. Stattdessen lässt sich aber auch der Stromverbrauch flexibilisieren und der Erzeugungssituation anpassen. Oder überschüssiger Strom lässt sich in andere Energieformen umwandeln, zum Beispiel in Gebäudewärme oder aber in Wasserstoff als Speichermedium und basierend darauf in synthetische Kraftstoffe. CO2-Emissionen können hierdurch erheblich reduziert werden.

Die in NEW 4.0 erprobte Sektorenkopplung ist ein wichtiger Baustein für den Schritt von der Strom- zur Energiewende
Die in NEW 4.0 erprobte Sektorenkopplung ist ein wichtiger Baustein für den Schritt von der Strom- zur Energiewende

Allerdings werden heutzutage für den Stromverbrauch Netznutzungsentgelte, EEG-Umlage und Stromsteuer fällig, die auch Unternehmen zahlen müssen, die sich durch den Einsatz innovativer, strombasierter Technologien netzdienlich verhalten. Dies verzerrt den Wettbewerb zu Kohle und Erdgas. Aus beiden Energieträgern wird heutzutage in erheblichem Umfang Gebäudewärme erzeugt und sie werden für industrielle Prozesse genutzt. Darauf fällt aber keine Stromsteuer an.

Steuern und Abgaben behindern Schlüsseltechnologien für die Sektorenkopplung

Die Stromsteuer ist eine Altlast aus jener Zeit, in der Strom sparen an oberster Stelle stand. Zukünftig werden wir aber – auch dank der windstarken Küstenregionen im Norden Deutschlands – mehr und mehr erneuerbar erzeugten Strom zur Verfügung haben. Und er wird in allen Bereichen der Energieversorgung zum Einsatz kommen müssen, wenn wir CO2-Emissionen senken und damit wirksamen Klimaschutz betreiben wollen. Deshalb müssen die Nebenkosten auf Strom vor allem für diejenigen Anlagen abgeschafft werden, die das Energiesystem entlasten, indem sie Strom zum Beispiel anstelle von Erdgas verbrauchen, etwa in Industriebetrieben. Dies würde einen gewaltigen Investitionsschub in Speichertechnologien, Power-to-Heat- und Power-to-Gas-Anlagen auslösen und die Energiewende maßgeblich vorantreiben.

Es ist daher zwingend erforderlich, dass die Politik die notwendigen Rahmenbedingungen und Anreize für Anlagen zur Sektorenkopplung schafft. Nur so haben die teilweise noch sehr neuen Technologien, die in NEW 4.0 und den vier anderen vom BMWi geförderten Schaufensterprojekten entwickelt werden, eine Chance sich zu etablieren.

Letztlich muss ein neues System zur Finanzierung der Energiewende über alle Sektoren hinweg entwickelt werden. 2018 kann hier zum Schlüsseljahr werden, wenn die neue Bundesregierung, die sich gerade bildet, jetzt die richtigen Weichen stellt. Denn erst wenn der Einsatz technologischer Innovationen zur Sektorenkopplung nicht mehr zu finanziellen Nachteilen führt, kann aus der Stromwende eine Energiewende werden, die alle Lebensbereiche umfasst.

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