War watt? Wer sorgt für Aufbruchstimmung?

Gastautor Portrait

Hubertus Grass

Kolumnist

Nach Studium, politischem Engagement und Berufseinstieg in Aachen zog es Hubertus Grass nach Sachsen. Beruflich war er tätig als Landesgeschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen, Prokurist der Unternehmensberatung Bridges und Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dresden. 2011 hat er sich als Unternehmensberater in Dresden selbständig gemacht.

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02. Februar 2017
Klimaschutz in der EU

Das Projekt Energiewende steht schon lange unter Beobachtung der Demoskopen. Auffällig ist dabei eine lang anhaltende hohe Zustimmung der Bevölkerung zu diesem Projekt. Gleichzeitig wird das Management der Energiewende kontinuierlich schlecht bewertet. Woher rührt diese Diskrepanz zwischen der grundsätzlichen Zustimmung in der Sache und der Skepsis gegenüber den Akteuren? Obwohl 2011 im parteipolitischen Konsens verabschiedet, kommt bei der Energiewende keine ungeteilte Freude mehr auf. Nur oberflächlich sind sich dort alle Parteien einig. Dabei braucht die Energiewende mehr denn je eine Aufbruchstimmung. Ganz besonders in diesem Jahr.

Energiewende: Kein Projekt wie andere

Klar: Die Energiewende ist ein sehr komplexer Prozess – komplexer als der Bau eines Hauptstadtflughafens oder eines Bahnhofs in Stuttgart. Es geht ja bei der Energiewende nicht nur um den Ersatz bestehender durch neue Technik,  sondern um eine tiefe Transformation, die neben der Technik die Umwelt, die Wirtschaft und auch das soziale Gefüge berührt.

Doch die Energiewende ist nicht das erste staatliche Großprojekt dieses Ausmaßes. Das Projekt Deutsche Einheit läuft immer noch parallel. Was der Energiewende im Vergleich zur deutschen Einheit fehlt, ist ein ordentliches Narrativ. Nicht alle Anstrengungen, die zum Zwecke der Deutschen Einheit unternommen wurden, lassen sich unter dem Narrativ „Blühende Landschaften“ zusammenfassen. Aber diese blühenden Landschaften als Bild für eine lohnenswerte gemeinsame Anstrengung waren lange Jahre so etwas wie die Klammer um das Projekt. Bei allem politischen Streit um Einzelaspekte, vor allem um Fragen der Finanzierung, gab es einen großen Konsens, der Politik, Gesellschaft, Medien, Wirtschaft, Kultur usw. einte. Am Ziel der inneren Einheit Deutschlands haben alle auf ihre Weise mitgearbeitet.

Erfolgsrezept für große Umbrüche

Wie werden derart komplexe volkswirtschaftliche Umbrüche zum Erfolg? Ähnliche nationale Anstrengungen wie wir bei der Energiewende unternhemen, haben die USA in den sechziger Jahren überwunden, als sie das Apollo Programm der bemannten Raumfahrt auf den Mond umsetzten.

Der Sputnik-Schock bereitete den Weg für dieses weitreichende Programm. Die USA wussten, dass sie den Wettlauf der Systeme nur mit gut ausgebildeten Menschen bestehen konnten. Im Rahmen des Apollo Programms wurde daher auch das Bildungssystem der USA reformiert. All diese zielführenden Anstrengungen standen unter dem Narrativ des Wettlaufs der Systeme: America first – damals hat es gewirkt. Noch heute ist das Apollo Programm ein Paradebeispiel dafür, welche Aufbruchstimmung entsteht und die Menschen trägt, wenn man eine Nation hinter einem Ziel zusammenbringen kann.

Bei der Energiewende wurde es noch nicht einmal ernsthaft versucht, einen tiefer gehenden Konsens zu erreichen. Das lag zum einen daran, dass vor allem der erste Atomausstieg politisch höchst umstritten war. Dass die rot-grüne Bundesregierung mit ihrer knappen Mehrheit den Atommeilern den Strom ab drehen wollte, haben weder die Unternehmen noch die Befürworter der Kernenergie in den Nuller-Jahren überwinden können. Damit gehörte der erbitterte politische Streit, der nicht nur in den Parteien, sondern auch in den Verbänden und Gewerkschaften geführt wurde, quasi zur Grundausstattung der Energiewende.

Aufbruchstimmung wirkt

Ähnlich wie beim Apollo Programm waren bei der deutschen Einheit die Rahmenbedingungen, die auf ein klares Ziel einzahlten, entscheidend fürs Gelingen. Sie regten langfristige und in die Zukunft reichende Investitionsentscheidungen an. Es gab keinen Zweifel an der Kontinuität staatlichen Handelns. So konnte sich jeder Investor sicher sein, dass bei einem Regierungswechsel die neue Regierung am Ziel der Vollendung der Deutschen Einheit festhält. Was der Energiewende fehlt, ist vergleichbare Sicherheit – und das Vertrauen ins Gelingen.

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Auch die weitsichtigste Politik kann nicht den Status der Energiewende im Jahr 2040 beschreiben. Da muss notwendigerweise vieles im Dunkeln liegen. Darum sollte jetzt umso klarer sein, wie wir das Klimaschutzziel für 2020 erreichen wollen. Ist es aber nicht. Dies ist nur eines der Versäumnisse in der Energiepolitik der Großen Koalition.

Vom Projekt Deutsche Einheit wissen wir, dass kein anderes Instrument so wirksam ist wie der Anreiz einer steuerlichen Abschreibung. Dadurch wurde erreicht, den eklatanten Mangel an Wohn- und Gewerberaum in den neuen fünf Ländern binnen weniger Jahre zu beseitigen. Steueroptimierung ist – nicht nur in Deutschland – Volkssport. Warum wird ein solch erfolgreiches Mittel nicht bei der Gestaltung der Energiewende eingesetzt? Diskutiert wurde es, um den Sanierungsstau im Altbaubestand zu beheben. Gescheitert ist es am kleinlichen Gezänk in der Großen Koalition. Aufbruchstimmung kommt so keine auf.

Intransparente Entscheidungen entfremden

2015 trat Sigmar Gabriel überraschend mit dem Vorschlag einer Klimaabgabe an die Öffentlichkeit. Sie sollte erhoben werden von alten Braunkohlekraftwerken, um sie schneller vom Markt zu nehmen und damit den nicht funktionierenden CO2-Zertifikate-Handel ein Stück weit zu ersetzen. Einigen Leuten, sowohl in der eigenen Partei als auch in der CDU gefiel dieser Vorschlag gar nicht. Insbesondere in den Braunkohleländern NRW, Sachsen und Brandenburg schlugen die Wogen hoch. Was ist aus dieser sogenannten Klimaabgabe geworden? Am Ende des Prozesses erhielten die Betreiber ausgewählter Kraftwerke eine Ausstiegsprämie von 1,6 Milliarden Euro.

Wie wurde aus einer Klimaabgabe eine Ausstiegsprämie? Die Antwort auf die Frage, warum mit der Energiewende keinerlei Aufbruchstimmung verbunden wird, liegt hier verborgen. Das gesellschaftliche Anliegen Energiewende wird mehr denn je in Hinterzimmern und kleinen Kungelrunden verhandelt. Die zum Teil überraschenden Ergebnisse dieser Art von Politik können in der Öffentlichkeit nicht mehr nachvollzogen werden. Das Wachstum der Regulierungen überfordert schon lange. Lösungen, die nur parteipolitisch Frieden stiften, schaden dem Projekt, wenn sie „draußen“ niemand mehr versteht.

Aufbruchstimmung: Ein Blick auf die Solaranlage er EnBW in Leibertingen. Solarenergie.

Auch die Große Koalition hat es versäumt, aus der Energiewende ein gesellschaftliches Projekt zu machen. Welche Bedeutung die Energiewende nach wie vor hat: Kein Politiker hat es uns in den letzten Jahren erklärt. Kein Mitglied der Bundesregierung hat es auch nur versucht, die Energiewende zu seinem Projekt zu machen und für eine Aufbruchstimmung zu sorgen.

Aufbruchstimmung als eine Art Anti-Trump-Effekt

Genug über vertane Chancen geredet. Speziell bei der Energiewende eröffnen sich unter der neuen außenpolitischen Konstellation neue Möglichkeiten. Wer soll den fortschreitenden Klimawandel aufhalten und für die Umsetzung des Pariser Klimaschutzvertrages sorgen?

Die Welt ist im Umbruch. Die USA fallen bei internationalen Gemeinschaftsaufgaben wohl aus. Dagegen setzt der Genosse Xi Jinping nicht nur in China Zeichen beim Umwelt- und Klimaschutz. Und in Europa? Wer übernimmt im schwierigen europäischen Haus die Führung? Wer führt die unterschiedlichen Interessen von Staaten zusammen, deren Energiewirtschaft völlig unterschiedlich geprägt ist? Die neue Bundesregierung wird mehr denn je Verantwortung für den globalen Klimaschutz übernehmen müssen. Schon deshalb muss die Energiewende zu Hause funktionieren. Eine Aufbruchstimmung als eine Art Anti-Trump-Effekt wäre dafür eine gute Basis.

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