BDI-Studie: Gut gemacht, aber wegen Kostendegression schon veraltet

Gastautor Portrait

Dr. Thomas Unnerstall

Selbständiger Berater und Autor

Dr. Thomas Unnerstall ist selbständiger Berater und Autor. Der promovierte Physiker war von 2010 bis 2016 Mitglied des Vorstands der N-ERGIE Aktiengesellschaft. Seine berufliche Laufbahn begann er 1991 im Umweltministerium Baden-Württemberg. Ab 1995 hatte er verschiedene leitende Positionen bei der EnBW Energie Baden-Württemberg AG inne, u.a. als Leiter der Vertriebsabteilung „Stadtwerke“. 2002 wechselte er als Geschäftsführer für die Bereiche Vertrieb, Handel und Energiewirtschaft zur Stadtwerke Karlsruhe GmbH.

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16. April 2018

Vor einigen Wochen hat der BDI eine umfassende Studie zu möglichen Szenarien, Auswirkungen und Kosten der Energiewende vorgelegt. Die Studie – entstanden in intensiver Zusammenarbeit von Wissenschaft, Beratung und Industrie – ist methodisch überzeugend durchgeführt, sehr transparent dargestellt und verdient insofern hohe Anerkennung. Aber die zugrundeliegenden Annahmen zu den Kosten der entscheidenden Technologien (PV, Wind, Batterien/E-Autos, synthetische Energieträger) werden durch aktuelle Entwicklungen geradezu pulverisiert. Damit sind viele quantitative Aussagen der Studie – insbesondere zu Investitionen und Kosten – schon jetzt veraltet (d.h. deutlich zu hoch geschätzt).

Die Studie „Klimapfade“ des BDI ([1] wurde im Januar 2018 der Öffentlichkeit vorgestellt. Sie konzipiert verschiedene Szenarien für die Energiewende bis zum Jahr 2050: ein 80%-Szenario (d.h. 80% CO2-Reduktion gegenüber 1990) und ein 95%-Szenario. Für diese Szenarien werden jeweils Energieverbräuche, Technologiemix, verbleibende CO2-Emissionen und ökonomische Effekte in den Energiesektoren Industrie, Verkehr, Gebäude und Energiewirtschaft beschrieben. In den Medien haben vor allem die Zahlen zu den mit der Energiewende verbundenen Investitionen und Kosten ein breites Echo gefunden: Lt. Studie sind für eine 80%-ige-CO2-Reduktion bis 2050 Investitionen von ca. 1500 Mrd.€ erforderlich. Diese Investitionen führen im Zeitraum 2015-2050 zu Mehrkosten von ca. 500 Mrd.€.

Neue Ansätze im Energiesektor unter Mitarbeit der Industrie

Die Studie verdient aus mehreren Gründen besondere Aufmerksamkeit: Erstens wurde sie unter der Federführung von BCG erstellt und ist damit unabhängig von den Institutionen, die in der Regel allgemeine Studien zur Energiewende durchführen: Öko-Institut, EWI, Fraunhofer ISI/ISE, und andere.  Zweitens entstand sie im Auftrag von und unter intensiver Mitarbeit der Industrie, die einen anderen – und kritischeren – Blick auf die Energiewende hat als die üblichen Auftraggeber: BMWi, BMU, Agora Energiewende, DENA, u.a. Schließlich verfolgt sie auch methodisch einige neue Ansätze und geht – insbesondere im Energiesektor Industrie – in eine bemerkenswerte Tiefe der Analyse.

Dieser Beitrag erhebt nicht den Anspruch, die BDI-Studie umfassend zu analysieren und zu würdigen. Es soll aber festgehalten werden, dass ganz offenbar methodisch sehr gründlich vorgegangen wurde. Dass sich die Darstellung durch vorbildliche Transparenz auszeichnet und dass entsprechend alle wesentlichen Fragen zur Zukunft der Energiewende innerhalb der Szenarien sehr nachvollziehbar beantwortet werden. Dennoch: Die quantitativen Aussagen der Studie gerade zu den Investitionen und Kosten der Energiewende sind schon jetzt nicht mehr haltbar. D.h. sie sind – innerhalb des selbstgesteckten methodischen Rahmens – deutlich zu hoch. Der Grund dafür ist, dass eine Reihe von zentralen Annahmen über die Kostenentwicklung der wesentlichen Energiewende- Technologien durch aktuelle Zahlen und Studien widerlegt bzw. zumindest stark in Frage gestellt werden.

Kostendegression bei den Erneuerbaren
Die Kostendegression bei den Erneuerbaren belegt auch diese aktuelle Studie des Fraunhofer ISE. Durch einen Klick auf das Bild gelangen Sie zum Download der Studie.

Kostendegression unterschätzt

Die folgenden drei Beispiele sollen dies verdeutlichen. Alle folgenden Zahlen beziehen sich auf das 80%-Szenario („Nationaler Alleingang)“ der Studie. In der BDI-Studie (Seite 264) werden die Gesamtkosten der Stromerzeugung aus PV und Wind wie folgt prognostiziert (bei Kapitalkosten von 6%.) [2]

2040 = 7,45 – 7,6 ct/kWh, 2050 = 6,3 – 6,55 ct/kWh. In den aktuellen Ausschreibungen der Bundesnetzagentur liegen die Durchschnittspreise für PV und Wind jedoch schon jetzt deutlich unter den für 2050 prognostizierten Werten [3],[4]: PV = 4,6 ct/kWh Wind (onshore) = 4,3 ct/kWh. Andere Studien der letzten Zeit legen daher auch deutlich geringere Kosten zugrunde [5]. Aus aktueller Sicht liegen daher die für den Strombereich angegeben kumulierten Mehrkosten von ca. 150 Mrd.€ um mindestens 100 Mrd.€ zu hoch.

In der Studie werden die zukünftigen Batteriekosten wie folgt angesetzt ([6]):

2020 = 187 €/kWh, 2030 = 124 €/kWh, 2040 = 101 €/kWh, 2050 = 92 €/kWh.

Auch Batteriekosten fallen schneller als erwartet

Bereits heute liegen die Batteriekosten jedoch bei ca. 160-170 €/kWh [7], und aktuelle Studien [8] prognostizieren aktuell das Erreichen der 100€/kWh – Schwelle für das Jahr 2025, spätestens für 2030. Damit dürfte in der zweiten Hälfte des nächsten Jahrzehnts die Kostenparität Elektroauto – konventionelles Auto erreicht werden, und damit sind die Investitions- und Kostenschätzungen der BDI-Studie auch im Bereich Verkehr sehr wahrscheinlich nicht zutreffend.

Als Importkosten für synthetische Energieträger (synthetisches Methan aus PtG, synthetische Treibstoffe aus PtL) werden die folgenden Werte zugrunde gelegt [9]:

2020 = 200 €/MWh, 2030 = 160 €/MWh, 2050 = 150 €/MWh. Die neueste diesbezügliche Studie von Agora Energiewende/Frontier Economics ([10], veröffentlicht im Februar 2018) weist dagegen für synthetisches Gas eine Kostenschätzung von ca. 100 €/kWh für 2050 aus. Wichtiger noch: Siemens arbeitet weltweit bereits intensiv am Aufbau von PtG-Anlagen und geht aktuell davon aus, bereits im Jahr 2030 Kosten von etwa 30 €/MWh für H2 und entsprechend unter 100 €/MWh für synthetisches Methan zu erreichen [11].

Alle Studien rechnen mit zu hohen Preisen

Die quantitativen Aussagen der BDI-Studie zu den notwendigen Investitionen für die Energiewende im Zeitraum 2015-2050 und zu den Mehrkosten des neuen Energiesystems bis 2050 müssen aus aktueller Sicht als deutlich zu hoch beurteilt werden – obwohl seit der Festlegung der Ausgangsparameter für die Studie erst kurze Zeit vergangen ist. Es ist den Autoren zu Gute zu halten, dass sie selbst ihre Kostenansätze für wesentliche Energiewende-Technologien als eher „konservativ“ einschätzen; dieser Beitrag ist denn auch weniger als Kritik an der Studie zu verstehen denn als Anregung, die entsprechenden Zahlen mit den aktuellen Kostenschätzungen noch einmal neu zu ermitteln.

Ohnehin: das Schicksal, schnell durch neue Entwicklungen an Bedeutung zu verlieren, teilt die BDI-Studie mit vielen anderen gleichgerichteten Ausarbeitungen der letzten Jahre zur Zukunft der Energiewende. Regelmäßig wurden diese Studien durch die nicht anders als dramatisch zu bezeichnende Kostendegression bei den Energiewende-Technologien nach kurzer Zeit überholt. Die Realität bzgl. PV, Wind, Batterien etc. war in den letzten Jahren regelmäßig besser als die Prognose – das ist ein gutes Argument für alle die, die eine noch aktivere Klimapolitik der Bundesregierung befürworten.

Anmerkungen

  • [1] „Klimapfade für Deutschland“, Studie des BDI, Januar 2018
  • [2] BDI-Studie, S. 264
  • [3] Internetseiten der Bundesnetzagentur. Wir haben hier jeweils den Durchschnitt der letzten beiden Ausschreibungen zugrundgelegt.
  • [4] Bei den aktuellen Geboten der Investoren für die Ausschreibungen sind sicherlich niedrigere Kapitalkosten – wahrscheinlich in der Größenordnung von 3% – angesetzt. Kapitalkosten von 6% würden die Kosten um ca. 1 ct/kWh erhöhen. Auf der anderen Seite sind weitere Kostendegressionen bei der PV/Windtechnologie in den 30 Jahren bis 2050 zu erwarten, sodass die BDI-Ansätze definitiv zu hoch erscheinen.
  • [5] In der Studie „Erneuerbare vs. fossile Stromsysteme – ein Kostenvergleich“ (Jan. 2017) von Agora-Energiewende/Ökoinstitut werden Kosten für die erneuerbaren Energien im Jahr 2050 von ca. 4,1-4,3 ct/kWh angesetzt. Dieselben Ansätze verwendet auch das EWI in „Energiemarkt 2030 und 2050“, Nov.2017.
  • [6] BDI-Studie, S. 196.
  • [7] https://about.bnef.com/blog/latest-bull-case-electric-cars-cheapest-batteries-ever/
  • [8] Cost Projection of State of the Art Lithium-Ion Batteries for Electric Vehicles Up to 2030 , MDPI, Sept. 2017; Aktuelle Umfrage von Bloomberg New Energy Finance bei Herstellern (https://www.greencarreports.com/news/1114245_lithium-ion-battery-packs-now-209-per-kwh-will-fall-to-100-by-2025-bloomberg-analysis) [9] BDI-Studie, S. 198.
  • [10] „Die zukünftigen Kosten strombasierter synthetischer Brennstoffe“, Agora Energiewende/Frontier Economics, Feb. 2018
  • [11] Beitrag auf der Handelsblatt-Tagung, Jan. 2018, von Prof. Dr. Armin Schettler, Senior Vice President Corporate Technology, Siemens AG

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