Einigkeit, Recht und Freiheit: Heilsbringer Blockchain in der Energiewirtschaft

Gastautor Portrait

Thorsten Zoerner

Energieblogger @blog.stromhaltig

Seit dem Jahr 2007 beschäftigt sich Thorsten Zoerner mit den Themen Stromnetz und Strommarkt. Parallel dazu entstand der blog.stromhaltig. Über das Thema Energiewirtschaft hat er drei Bücher veröffentlicht. Im 2014 erschienenen Buch zum Hybridstrommarkt entwarf er ein Marktdesign, das in Deutschland in das Gesetzespaket Strommarkt 2.0 aufgenommen wurde. Der Datenanalyst hat sich intensiv mit Digitalisierung in der Energiewirtschaft und mit der Blockchain Technologie befasst. Aus diesem privaten Engagement heraus entstand in 2017 das Unternehmen STROMDAO, das Thorsten Zoerner als Geschäftsführer leitet. DAO steht für "dezentrale und autonome Organisation". Zoerner sieht darin das Herzstück der digitalen Infrastruktur für die Energiewirtschaft der Zukunft.

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20. Dezember 2017
StromDAO - Strom in Kundenhänden

Der Kurs des Bitcoin hat sich in den letzten Monaten verzehnfacht. In nicht einmal einem Jahr aus einem Euro zehn zu machen, macht es schwer, nicht der Gier zu verfallen. Kann man solch eine Explosion des Überflusses nicht auch in die Energiewirtschaft bringen? Treibt nicht gerade die Daseinsvorsorge mit Strom und Gas die Bürger an, bei einer gefühlten ständigen Verknappung dieses Lebenselixiers der Industrialisierung die Geldbeutel zu öffnen. Nur kein Risiko eingehen – es gilt den Blackout zu vermeiden. Darüber besteht Konsens, der von allen bedingungslos getragen wird.

Die Blockchain Technologie ist eine Konsensmaschine, die beim Bitcoin der Welt vor Augen führt, wie man frei von zentralen Regulierungen und Steuermechanismen, mit Hilfe von mathematischen Formeln und etwas Datenaustausch, eine Einigkeit darüber findet, wer wieviel Bitcoins besitzt. Ist die Kettenreaktion einmal gestartet, ist der erste Block unter einigen Akteuren verteilt, gibt es eine Ordnung, die nicht mehr gestoppt werden kann, so lange mehr als ein Akteur daran glaubt. Euro und Dollar können ebenfalls so lange als Zahlungsmittel verwendet werden, wie es einen anderen gibt, mit dem man einen Konsens über den Wert finden kann.

Adé Plattformkapitalismus

Ist es nicht faszinierend, wenn es gelingt, mit Konsens ohne Intermediär eine Verzehnfachung des intrinsischen Wertes hinzubekommen, diese Eigenschaft irgendwie auf die Energieversorgung zu übertragen? Bereiche des modernen Lebens, die notorisch zu wenig Geld haben? Eine Verzehnfachung des Wertes allein durch Konsens… – Ein Traum.

Ein Traum, der zur Zeit kollektiv von Verbänden, Versorgern, Politik, Think Tanks und Analysten für die Stromversorgung geträumt wird. Die Macher des Strommarktes, die Schaffer des Regelwerkes, die Bestimmer von Rechten und Pflichten – kurz die, die bestimmen, wie die “Plattform Energie” zu funktionieren hat – wollen sich des Werkzeuges Blockchain bedienen, um etwas zu machen? Unter dem Deckmantel der Digitalisierung entsteht Neues für die “Gottheit Kunde/Bürger/Wirtschaft”, was möglichst altruistisch auf den Altar gelegt werden muss.

Die Cloud-Ära des Informationszeitalters zeigt, was Plattformkapitalismus bedeutet. Gewählte Volksvertretungen können nicht bestimmen, welche Facebook-Posts gelöscht werden. Die Plattformer entscheiden ohne Intermediär, wo und wieviel Steuern sie zu entrichten haben. Die böse Fratze des Plattformkapitalismus ist ein Verlust des Konsenses, der durch die Demokratie von unten nach oben aufgebaut wurde.

Blockchain in der Energiewirtschaft
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Als im Zuge des Gesetzespakets “Strommarkt 2.0 – Digitalisierung der Energiewende”, der Hybridstrommarkt entstand, war bereits von Anfang klar, dass neue Mechanismen der dezentralen Konsensfindung notwendig sind. Im Zuge einer langjährigen Transformation wird Stück für Stück eine neue Freiheit von unten nach oben aufgebaut. Die Freiheit, wie die Daseinsvorsorge aufgebaut ist, welche Bestandteile einen intrinsischen Wert besitzen und welche nicht. Gelingt es, dezentral einen Konsens über (Betriebs-)Sicherheit zu erzielen, so geht vom einzelnen Akteur ein Beitrag zur Stabilität des Gesamtsystems aus. An die Stelle des Plattformkapitalisten treten dezentral, autonom organisierte Akteure. Es wird keine Plattform, keine Cloud mehr benötigt – denn die Daten sind schlicht auch auf anderen Computern. Akteure wie die Eigentümergemeinschaft, die sehr wohl in der Lage ist, sich selbständig zu organisieren und zu entscheiden, wer welchen Nutzen  aus der Gemeinschaftsanlage zur Stromerzeugung hat.

Eine Verzehnfachung des Kurses des Bitcoin gab es nur, weil es keine Zentralbank in diesem Konsenssystem gibt. Es gibt kein Finanzinstitut, welches den Zugang oder den Nutzen definiert. Es sind die zahlreichen Akteure, von denen jeder durch Vertrauen und Einigkeit, einen Stück zum Boom beigetragen hat.

Freiheit zur Selbstorganisation

Blockchain Studie der dena
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Die “Plattform Energie” hat  eine Stromversorgung hervorgebracht, die trotz gesetzlich geregeltem Smart-Meter-Rollout auf den Konsens sogenannter “Standard-Lastprofile” vertraut. Für mehr als 95% der Stromkunden in Deutschland herrscht Einigkeit darüber, dass sie einem idealisierten Verbrauchsprofil folgen. Ein Vorgehen, was den Plattformbetreibern nutzt, jedoch dem Einzelnen Kunden/Bürger/Wirtschaft das Recht auf einen selbstbestimmten Verbrauch entzieht. Einen echten Prosumer, von dem bereits heute viele sprechen, kann es in diesem Regime nicht geben. Denn obwohl die Energienutzer bereits im Jahre 2012 die Möglichkeit erhalten haben, ein sogenannte Zählerstandsgangmessung zu erhalten, ist es den Betreibern bislang nicht gelungen, einen Konsensmechanismus zu finden. Wenn  wie unlängst  ein Beratungsunternehmen versucht, den nachbarschaftlichen Stromhandel als den Megatrend zu proklamieren, dann wird übersehen, dass eigentlich alles vorhanden ist für mehr Freiheit und Selbstbestimmung.

Die Blockchain Technologie ist lediglich ein Werkzeug, das hilft, dezentral und autonom etwas zu organisieren. Der Wunsch nach Nutzung des Werkzeuges soll entstehen und nicht diktiert werden. Höhenflüge des Bitcoinkurses beruhen auf der “eingebauten Freiheit” unabhängig etwas zu organisieren, nicht aber aus der Not, eine neue Plattform schaffen zu müssen.

Man sollte vielleicht erst einmal mit der Brille des Bürgers auf die eigenen Nachbarn schauen , und sich fragen, wie man mit diesen Konsens organisieren kann. Schnell würde man lernen, dass es nicht um die Energie geht, sondern um Finanzierung von Anlagen, der Verteilung von Kosten sowie Sicherheit und Stabilität. Strom wird mittelfristig 0€ kosten, nicht aber die Infrastruktur. Die Gottheit  Kunde/Bürger/Wirtschaft denkt in realen Werten, in Sachanlagen, in Investitionen, in Risiko und Sicherheit – nicht in Kilo-Watt-Stunden elektrischer Arbeit. Dies wird bereits heute mit der Blockchain Technologie nachhaltig organisiert.

Beispiel: Prämie für Netzdienlichkeit

Nachgefragt in einem Forum für Elektromobilität, wie man einen Stromtarif organisieren könnte, kamen Aussagen wie:

“Ich würde auch gern meine Wallbox als abschaltbare Last betreiben, scheue aber den Aufwand für extra Verkabelung und extra Zähler mit zusätzlicher Grundgebühr. Praktisch wäre es, wenn der Anbieter eine Wallbox anbietet (oder ein Zusatzgerät für eine vorhandene), die die Ladung netzdienlich begrenzt bzw. Unterbricht.” (Forum Going-Electric)

Bei der STROMDAO haben wir aus solchen Äußerungen gelernt, dass es eine Bereitschaft gibt, mit der Nutzung eines E-Automobils auch etwas für die Stabilität des Stromnetzes beitragen – der STROMDAO Autostrom war geboren. Keine Bereitschaft besteht hingegen einen extra Aufwand zu betreiben, damit dies möglich ist. Mit Hilfe der Blockchain Technologie auf Basis der Energychain gelingt es uns, hier einen Interessenausgleich zu orchestrieren.

Nach einer Definition, was Netzdienlichkeit ist, wurde ein ganz normaler Öko-Stromtarif, wie es hunderte gibt, als Basis genommen, um die die Prämie zu implementieren. Zwischen den Kunden besteht Einigkeit (Konsens), welche Regeln für den Erhalt der Prämie erfüllt sein müssen.
Da wir ein physikalisches Stromnetz mit lokalen Bedingungen haben, wurde der Grünstromindex als Basis für die dezentrale Regelung der Prämie verwendet. Organisiert werden muss, dass die Prämie sich quasi selbst trägt (Höhe der Einnahme=Höhe der Ausgabe), eine Aufgabe, die ebenfalls konsenspflichtig ist und von der Energychain autonom übernommen wird.

Der Kreis derer, die von der Prämie für Netzdienlichkeit Gebrauch machen wollen, hat die Freiheit selbst zu bestimmen, ob sie diese Regeln akzeptieren oder nicht. Von Seiten der STROMDAO ist es uns egal, ob zusätzliche Zähler verbaut werden oder eine Integration in ein Smart-Home erfolgt. Es ist egal, ob die Werte der Wallbox oder die des Autos verwendet werden. Letztendlich wird von den Kunden ein Signal kommen, wann das Regelwerk angepasst werden muss.

Fazit

Der Erfolg von einer Blockchain Technologie basiert nicht zuletzt auf den drei Säulen Einigkeit (Konsens), Recht (zur Selbstorganisation) und Freiheit (der Gestaltung). Die Möglichkeiten und Effizienz, mit der Akteure einen Konsens finden, ist heute noch weitgehend unbekannt. Der Kurs des Bitcoin ist Maßstab für die ineffizienz zentralistischer Ordnungsstrukturen. Bevor jedoch der Heilsbringer in der Energiewirtschaft in einer Technologie gesucht wird, sollte jeder sich selbst die Frage stellen, ob der Prophet tatsächlich uneigennützig handelt oder nur im Interesse des eigenen Wohls.

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