Datengetriebene Lösungen für urbane Mobilität

Gastautor Portrait

Dr. Tobias Brandt

Universität Freiburg

Tobias Brandt studierte Volkswirtschaftslehre an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und der Università di Bologna in Italien. Als Stipendiat der Stiftung der Deutschen Wirtschaft untersuchte er im Rahmen seiner Promotion Synergien zwischen regenerativen Energiequellen und Speichertechnologien am Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik der Universität Freiburg und dem Lawrence Berkeley National Laboratory in Berkeley, Kalifornien. Seit 2015 leitet er die Smart Cities & Industries Research Group am Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik der Universität Freiburg und erforscht verschiedene Themen im Bereich nachhaltiger und intelligenter Stadtentwicklung.

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29. Januar 2016

An wenigen Orten sind die Konsequenzen der exzessiven Nutzung fossiler Brennstoffe so zu spüren und so sichtbar wie in den Städten und urbanen Zentren unserer Welt. Verstopfte Straßen, Lärm und Luftverschmutzung stellen eine allgegenwärtige Gefahr für die Gesundheit der städtischen Bevölkerung dar. Als Konsequenz ist in den vergangenen Jahren eine globale Bewegung aus Wissenschaftlern, Politikern, Unternehmern und normalen Bürgern gewachsen, welche die Lebensqualität in den Städten grundlegend verbessern möchte. Dabei liegt ein besonderer Fokus auf der Frage der Mobilität. Ob der Boom im Bereich elektrischer Fahrräder in China, die Öffnung von Politikern und Bürgern gegenüber öffentlicher Verkehrsmittel in den USA, oder der Erfolg von Carsharing-Konzepten in Europa – überall auf der Welt wird versucht, Umweltbewusstsein und Nachhaltigkeit in den Verkehrssektor und damit in die Stadt zu bringen.

Diese Bemühungen sind allerdings nicht von uneingeschränktem Erfolg gekrönt. Die Elektromobilität, als Möglichkeit die Energiewende auf das Auto zu übertragen, leidet unter hohen Preisen der Fahrzeuge und einer mangelhaft ausgebauten Infrastruktur an Ladestationen. Auch Carsharing als Möglichkeit, in Verbindung mit öffentlichen Transportmitteln die Anzahl an Fahrzeugen in der Stadt zu verringern, muss sich erst noch im großen Rahmen gegen das eigene Auto durchsetzen.

Parallel zu dieser Entwicklung hat die fortschreitende Digitalisierung unseres Lebens in den vergangenen Jahren zu einer wahren Datenflut geführt. Big Data bietet ein unermessliches Potenzial, spürbare Verbesserungen in Unternehmen und im öffentlichen Raum zu bewirken und Entscheidungen aufgrund einer fundierten, datengestützten Grundlage zu treffen. In unserer Forschung verknüpfen wir diese beiden Entwicklungen, um den Erfolg neuartiger und nachhaltiger Mobilitätskonzepte durch datengetriebene Lösungen zu unterstützen.

Anwendungsbeispiel urbane Mobilität: Carsharing

Die Basis unserer Methodik stellen sogenannte Points of Interest (POI) dar, d.h. Orte innerhalb der Stadt, die für Menschen auf die eine oder andere Weise interessant sind. Solche Orte sind beispielsweise Restaurants, Museen oder Parks. Die Nutzer von Carsharing parken ihre Fahrzeuge naturgemäß vorzugsweise in der Nähe ihres Fahrziels, um zusätzliche Fußwege zu minimieren. Gebiete mit einer hohen Dichte solcher POIs müssten demzufolge generell attraktiver für Fahrzeugnutzer sein als Gebiete mit einer geringen Dichte.
In Zusammenarbeit mit einem weltweit führenden Anbieter von Carsharing analysierten wir Fahrdaten von über 55.000 Kunden über ein Jahr in Berlin um die Wirkung von POIs auf die Nachfrage nach Carsharing in der Umgebung festzustellen. Das Ziel ist dabei, strategische Entscheidungen hinsichtlich der Wahl der Grenzen des Geschäftsgebiets zu unterstützen. Insgesamt wurden mehr als eine Million Fahrten mit 1200 Fahrzeugen untersucht. 

 carsharing1, urbane Mobilität
Carsharing-Aktivität an einem Beispieltag in Berlin

Hier wird bereits deutlich, dass es Häufungen von Anfangs- bzw. Endpunkten gibt, ebenso wie Gebiete ohne Fahrziele. Die Abgrenzung des Geschäftsgebiets ist also für den Carsharing-Anbieter fundamental wichtig, um die Balance zwischen Umsatz und den Kosten für das Umparken von Fahrzeugen zu halten.

Basierend auf unseren POI-Daten konnten wir nun ein statistisches Modell erstellen, um die erwartete Carsharing-Aktivität vorherzusagen. Unser Ergebnis lässt sich dann mit den tatsächlichen Fahrten vergleichen und validieren. Hierdurch lassen sich wertvolle Informationen über die potentielle Erweiterung des Geschäftsbereiches gewinnen.

 carsharing2, urbane Mobilität  carsharing3, Mobilität
Erwartete Carsharing-Aktivität im Geschäftsgebiet (blau) mit potenziellen Erweiterungen (rot) Tatsächliche Carsharing-Aktivität im Geschäftsgebiet (blau) mit potenziellen Erweiterungen (rot)

Es wird dabei deutlich, dass der POI-Ansatz die Häufungsgebiete sehr gut vorhersagen kann. Der Carsharing-Anbieter kann demzufolge sein Geschäftsgebiet anhand dieser Visualisierungen konzipieren.

In unserer Forschung zeigen wir somit, wie der Erfolg innovativer und umweltfreundlicher Mobilitätskonzepte mithilfe datengetriebener Lösungen unterstützt werden kann. Besonders POI-basierte Methoden sind dahingehend bemerkenswert, dass sie universal für jede Stadt auf der Welt einsetzbar sind. Sie ermöglichen eine ökonomisch und operativ effizientere Umsetzung der Konzepte und bewirken damit eine nachhaltige Verringerung von Emissionen, Lärm und anderen Stressfaktoren in den Städten und Ballungsräumen unserer Welt.

Ausgründungsprojekt

Neben Carsharing wurde die Methodik in den letzten Jahren auf andere Anwendungsgebiete, wie die optimale Platzierung von Ladestationen für Elektrofahrzeuge oder die geografische Analyse von Kriminalfällen, übertragen und funktionell erweitert. Seit Oktober 2015 wird mit Geospin ein Ausgründungsprojekt durch das EXIST-Programm gefördert, welches die Verfahren einem breiten Markt zugänglich machen wird. Neben der Anwendung in Fragen nachhaltiger Mobilität bieten die eingesetzten Big-Data-Methoden gewinnbringende Erkenntnisse für beispielsweise Filialisten und Anbieter von ortsbezogenen Dienstleistungen.

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