War watt? Die Energiewende ökonomisch vernünftig denken

Gastautor Portrait

Hubertus Grass

Kolumnist

Nach Studium, politischem Engagement und Berufseinstieg in Aachen zog es Hubertus Grass nach Sachsen. Beruflich war er tätig als Landesgeschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen, Prokurist der Unternehmensberatung Bridges und Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dresden. 2011 hat er sich als Unternehmensberater in Dresden selbständig gemacht.

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29. März 2018
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Ökonomisch langfristig zu denken, fällt uns schwer. Wir kennen das aus dem privaten Bereich. Wir schauen auf die aktuellen Zinssätze und haben eher die kurzfristige Rendite als die langfristige Entwicklung im Auge. Deshalb klappt es so häufig auch nicht mit der Vorsorge für die private Rente. Auch in der Politik begegnet uns dieses Dilemma. Seit Jahren liegen die Daten vor, wie viele Personen nach 2030, wenn die geburtenstarken Jahrgänge in Rente sind, Rentenbeiträge zahlen werden und wie viele Rentenbezieher es geben wird. Obwohl die Herausforderung, die der so genannte „Pillenknick“ für die Rente bedeutet, berechenbar ist, haben sich alle Bundesregierung bisher davor gedrückt, eine ökonomisch vernünftige Antwort zu entwerfen.  

Vernunft ist gefragt

Die einzigen, die im Grundsatz ökonomisch vernünftig denken, sind Waldbesitzer. Ein Waldbauer, der im Alter von 40 Jahren in die Wiederaufforstung eines Mischwaldes investiert, weiß, dass erst seine Ur-Enkel aus seiner Arbeit und den finanziellen Aufwendungen eine Rendite erhalten werden. Zu seinen Lebzeiten wird der Return on Invest negativ sein, statt Rendite wird auch in ersten Jahren nach der Pflanzung nur Arbeit und Aufwand anfallen. Die Grundlage seiner Handlungen ist das Wissen, dass er selbst von einer Dividende aus Anlagen lebt, die Generationen vor ihm getätigt haben.

Die Vernunft des nachhaltig wirtschaftenden Waldbauern sollte uns und der Politik ein Vorbild sein. Er macht seine Familie unabhängig von den kurz- und mittelfristigen Schwankungen der Kapitalmärkte. Wechselkursrisiken interessieren ihn ebenso wenig wie Börsenstürze und Konjunkturentwicklungen. Sein Kapital wächst trotz Unbill des Wetters über die Jahre kontinuierlich an.

Das ökonomische Prinzip der Energiewende funktioniert ähnlich. Kurzfristig, das wird täglich beklagt, verursacht die Energiewende – vergleichbar mit der Aufforstung – hohe Kosten. Leider können wir nicht auf ein funktionierendes System zurückgreifen. Wir müssen ein marodes abschaffen und ein neues entwickeln. Zu den Investitionen kommen noch die immensen Kosten für Forschung und Entwicklung. Da wir bei Null angefangen haben und nicht auf die Erfahrungen zurückgreifen konnten, braucht es auch Lehrgeld. Denn wir stellen von einem System um, bei dem wir in den vergangen 150 Jahren Ressourcen verbrauchen haben, die über 30 Millionen Jahre (Braunkohle) und gar über mehrere hundert Millionen Jahre (Öl, Erdgas und Steinkohle) entstanden sind. Man braucht nicht darum herum zu reden: Die Systemumstellung ist teuer. Aus Gründen der Vernunft, auch der ökonomischen, aber geboten.  

ökonomisch denken lehrt uns die Natur. Bild: Hubertus Grass

Ökonomisch profitieren werden kommende Generationen

Selbst nach 18 Jahren der Energiewende ist volkswirtschaftlich gesehen noch keine Rendite absehbar. Bäume, die 18 Jahre gewachsen sind, eignen sich übrigens noch nicht einmal als Brennholz. Erst unsere Enkel und Urenkel werden ökonomisch von der Energiewende und den derzeitigen Anstrengungen und Investitionen profitieren. Kommende Generationen werden es zu schätzen wissen, dass sie nicht mehr über 65 Milliarden Euro ins Ausland für Importe überweisen müssen, um unsere Kraftwerke, Heizungen und Autos mit Gas, Öl und Kohle zu befeuern. Wie die traditionsreichen Waldbesitzer ganz selbstverständlich ihren Urenkeln das funktionierende Ökosystem Wald hinterlassen, werden spätere Generationen eine Energieversorgung vorfinden, die keine Gruben, Minen oder Schlote mehr braucht.

Künftige Generationen werden in einer Energiewirtschaft aufwachsen, in der Energie sehr wenig kostet. Denn der Aufwand zur Unterhaltung der Anlagen ist gering. Sie werden die eine oder andere Ersatzinvestition tätigen müssen und das System nach dem dann zur Verfügung stehenden Wissen weiter entwickeln.  

Nur in den Geschichtsbüchern wird man dann erfahren können, dass es eine Zeit gab, in der Gruben in Australien, Südafrika, Kolumbien oder den USA ausgehoben wurden, um uns mit Energie zu versorgen. Die Schülerinnen und Schüler im Unterricht nach der nächsten Jahrhundertwende werden lachen, wenn sie erfahren, dass einst Schiffe über alle Ozeane der Welt fuhren, um Treibstoffe in unsere Häfen zu bringen. Sie werden sich wundern über den Aufwand, den wir trieben. Dass Kohle von großen Schiffen auf kleine Schiffe verladen wurde, die dann den Rhein hoch fuhren, um die dortigen Kraftwerke zu versorgen.

„Das weiß doch jedes Kind“

„Was das alles für Kosten verursacht hat?“, werden unsere Urenkel denken. „Die schmutzige Arbeit in den Gruben und Bergwerken, die vielen Arbeiter in den Kraftwerken.“ „Und wie viel Dreck die Kraftwerke und die Schiffe ausgestoßen haben!“, wird ein anderes Kind im Geschichtsunterricht dann sagen. Und ein schlauer Mitschüler wird die Lehrerin fragen, wer die riesigen Leitungen bezahlt hat, die aus dem fernen Sibirien und vom Kaspischen Meer bis in nach Westeuropa verliefen, um das Gas zu transportieren. „Konnten die Leute früher nicht rechnen? Wussten die nicht, dass man die Energie von Wind und Sonne preisgünstig ernten kann? Das weiß doch jedes Kind.“ 

Wir sollten es den künftigen Generationen von Lehrerinnen und Lehrer nicht so schwer machen, den Unsinn zu erklären, den wir und die Generationen vor uns betrieben haben. Wir sollten anfangen, die Energiewende ökonomisch zu denken. Vernünftig wie die Waldbauern.


Auch der Energiewendeblog geht in die Osterferien. Wir melden uns wieder am Montag, den 9. April. Unseren Leserinnen und Leser wünschen wir frohe Ostertage. Möge uns der Frühling überraschen.

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  1. Windmüller

    vor 6 Jahren

    Ein sehr gut geschriebener Artikel. Das Problem liegt meiner Meinung aber nicht nur im Kurzfristdenken. In Deutschland wird beim Thema Energie sehr stark Ideologie gefahren.Erneuerbare Energien gelten immer noch als "links" und "grün". obwohl es bodenständige Bauern waren, die die ersten Biogasanlagen gebaut haben, oder eine Windkraftanlage auf den Acker gesetzt haben. Die Energiewende kann nur erfolgreich werden, wenn sich alle Akteure an einen Tisch setzen, und anschließend umsetzen, was beschlossen wurde.Der ideologische Gipskrieg hat und schon genug Geld gekostet.
    Schöne Ostertage

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