Digitalisierung als Katalysator der Wärmewende

Gastautor Portrait

Philipp Kloth

Redakteur Energieheld GmbH

Philipp Kloth arbeitet als Redakteur für die Energieheld GmbH (www.energieheld.de). Zusammen mit energieheld bringt er die Energiewende voran. Wie das geht? Durch die Revolutionierung der energetischen Gebäudesanierung im deutschsprachigen Raum. Dafür widmet er sich mit besonderem Eifer dem Thema Dämmung und klärt über Ängste, Irrtümer und Alternativen auf. Für ihn sind klare und verständliche Informationen wichtiger als überkomplexe Zusammenhänge. Nur dann wird aus einem abstrakten Begriff – konkretes Handeln.

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19. Dezember 2016

Beschleunigt die Digitalisierung die Energiewende und die Wärmewende, oder machen wir uns falsche Hoffnungen? Doch bevor wir beginnen: Das wird nicht noch ein Text über die Digitalisierung, versprochen. Richtig ist natürlich, dass die Digitalisierung auch für die Energiewende (inklusive Wärmewende) enorme Chancen bietet. Richtig ist jedoch auch, dass der Begriff „Digitalisierung“ in vielen Kontexten nicht mehr als eine leere Hülle ist.

Was ist überhaupt Digitalisierung?

Digitalisierung ist total im Trend. Jeder muss sich daran beteiligen, denn „wer nicht mit der Zeit geht, der geht mit der Zeit“. Das sagen uns zumindest die bunten Überschriften in zahllosen Fachzeitschriften, Blogartikeln und anderen Medien. Fakt ist aber, eine (zumindest annähernd) einheitliche Definition des Begriffes fehlt. Zusätzlich wird häufig versäumt, einfach kurz zu erklären, wie der Begriff Digitalisierung im konkreten Kontext verwendet wird. Ich werde versuchen, diese Fehler zu vermeiden und den Begriff etwas mit Geschichte und Inhalt zu füllen.

Wie kann man also die Digitalisierung definieren, und warum spielt sie gerade jetzt eine Rolle? Zunächst sollte klar sein, dass unsere Welt nicht schwarz oder weiß, beziehungsweise nicht digital oder analog ist. Beide Begriffe repräsentieren menschliche Kategorien, die dabei helfen sollen, unsere Welt zu beschreiben. Häufig wird jedoch alles Alte als analog und damit „natürlich“ kategorisiert, während alles Neue digital und „künstlich“ sein soll. Um sich mit dem Thema Digitalisierung offen auseinandersetzen zu können, sollte man sich daher von derartigem Schubladendenken verabschieden. Selbst Computer, die als Sinnbild der Digitalisierung verstanden werden, bestehen letztendlich aus analogen Komponenten, die mit analogen Prozessen arbeiten.

Disruptive Entwicklungen sind ein postfaktischer Eindruck. Über die Digitalisierung der Energiewende schreibt Blog-Moderator Hubertus Grass in der Kolumne "War Watt?"Ebenso sollte man nicht vergessen, wie lange unsere Wirtschaft und Gesellschaft schon durch Digital-Technologie beeinflusst werden. Besonders Banken und Versicherungen haben bereits in den 60er-Jahren damit begonnen, ihre analogen Rechenvorgänge zu digitalisieren, um laufende Kosten zu senken. Später hat dieser Trend auch auf andere Wirtschaftsbereiche übergegriffen. Damals war allerdings eher von Automatisierung und Computerisierung, statt von Digitalisierung die Rede. Folgen wir der Begriffsgeschichte, dann ist die Digitalisierung eigentlich kein neues Phänomen.

Was aber neu ist und warum das Thema aktuell so heiß diskutiert wird, ist die Größe (bzw. Rechenleistung), der Preis und die Vernetzbarkeit vieler Geräte. Wurden früher nur analoge Arbeitsprozesse in eine Software übertragen, so entstehen heute im Zuge der Digitalisierung völlig neue Geschäftsprozesse, die auch dem „kleinen Mann“ zugänglich sind. Daten können in Echtzeit überwacht und Informationen genauso schnell von fast jedem Punkt der Erde mit allen Menschen geteilt werden. „Digitalisierung“ ist in sich also ein relativ leerer Begriff. Durch die Art der Verwendung füllt sich das Ganze aber mit Inhalten. Wer von Digitalisierung spricht, der meint häufig, dass große Datenmengen sinnvoll verwaltet werden, um uns das Leben zu vereinfachen.

Digitalisierung der Wärmewende

Als Überleitung zum Thema der Wärmewende können Sie sich eine Zentral-Heizung in einem Mehrfamilienhaus vorstellen, deren Nutzung besser auf alle Parteien abgestimmt werden soll, um die laufenden Kosten zu senken. Dafür kann beispielsweise eine Liste mit allen Arbeitszeiten der Bewohner zusammengestellt werden. So steht schon einmal fest, wann die Heizung mit welcher Leistung arbeiten müsste. Gehen Sie nun mit dieser Liste in den Keller zur Heizung, dann fehlt dort ohne digitale Hilfsmittel ganz einfach eine geeignete Schnittstelle, um Ihre Liste mit der Heizung zu verbinden. Immerhin kann man ja nicht einfach ein Kabel an beide Dinge hängen und hoffen, dass dort ein effektiver Austausch stattfindet. Es ist also unmöglich, den konkreten Gegenstand „Heizung“ mit dem konkreten Gegenstand „Verbrauchsliste“ zu verbinden.

Was aber möglich ist, ist die Verknüpfung von Informationen, die von entsprechenden Algorithmen in Befehle umgewandelt werden können. Und genau hier setzt das moderne Verständnis von Digitalisierung an. Es geht darum, Informationen zu sammeln, zu verstehen und gezielt auszusteuern. Bei Missbrauch können solche Daten natürlich auch zu einer Gefahr werden, aber diese Aussage erweist sich leider bei jeder Technologie als wahr. Die menschliche Welt besteht theoretisch aus viel mehr Informationen, als wir uns überhaupt vorstellen können. Das eigene Haus zu betreten (oder zu verlassen), kann ein völlig unbedeutender Schritt sein, aber gleichzeitig für entsprechende Geräte eine hilfreiche Information darstellen, wenn es um eine effiziente Heizungssteuerung geht. In der Digitalisierung werden Information zu einem universellen „Adapter“, der zuvor unvereinbare Prozesse miteinander verbinden kann.
Sehr viele Menschen haben zudem bereits ein Smartphone oder Tablet und eine mobile Internetverbindung. Daher müssen Heizungshersteller keine tragbaren Steuerungsgeräte für Endverbraucher produzieren und vermarkten, sondern nur entsprechende Software in Form von Apps bereitstellen. Theoretisch bieten sich also fast unendliche viele Möglichkeiten, um auch die Wärmewende durch und durch zu digitalisieren. Wichtiger könnte aber die Frage sein, wie realistisch und wirklich nutzbringend einige Ideen sind.

Was können wir von der Wärmewende erwarten?

Wir wollen nicht nur, sondern wir müssen unsere Energieversorgung langfristig auf erneuerbare Energien umstellen oder eine andere wirklich gute Alternative zu Kohle, Öl, Gas und Atomenergie finden, wenn wir nicht auf Versorgungsengpässe stoßen wollen. Die Energiewende ist hierbei ein recht etablierter Begriff, der zwar auch nicht frei von Schwächen ist, aber weitaus weniger Erklärung benötigt als die Digitalisierung. Häufig ist mit der Energiewende auch eine Dezentralisierung der Energieversorgung gemeint, bei der Energie oder Rohstoffe nicht erst von einer zentralen Stelle über viele Kilometer transportiert werden müssen.

Dass auch die Wärmewende als „Schwesterbegriff“ existiert, ist der öffentlichen Wahrnehmung geschuldet, die unter der Energiewende meist nur Stromsparmaßnahmen versteht. Weil jedoch mehr als die Hälfte des deutschen Endenergieverbrauchs auf die Wärmegewinnung verfällt, nutzen viele Experten den Begriff Wärmewende, damit Diskussionen zielgerichteter geführt werden können. Schaut man sich die Verbrauchszahlen im Detail an, dann wird zudem deutlich, dass der größte Wärmebedarf im privaten Sektor zu finden ist. Die Digitalisierung der Wärmewende ist also ein Thema, das die Einbindung aller Bürger erfordert.

Ein Punkt, mit dem die Energiewende wie auch die Wärmewende zu kämpfen haben, ist die Realisierbarkeit utopischer Ideen. Natürlich können wir unheimlich viele Informationen sammeln, den Energieverbrauch aller Bürger oder Unternehmen überwachen und daraus dann die ideale Verteilung aller Ressourcen errechnen. Aber wer macht hierbei den Anfang? Woher kommen Investitionen? Was hat der einfache Bürger von diesen Maßnahmen? Und wann soll das überhaupt alles stattfinden? Allen utopischen Ideen steht zudem ein realer Markt mit verschiedensten Anbietern und Konsumenten gegenüber. Was sich kluge Köpfe zur digitalen Wärmewende überlegen, muss nicht zwingend das sein, was bei den Konsumenten gut ankommt. Auch hier sollte man nicht durchweg rationale Kaufentscheidungen erwarten, die allen Bürgern nutzen.

Der digitale Aspekt durchdringt außerdem nicht alle entscheidenden Bereiche. Wir benötigen nicht nur ausgeklügelte Heizungen und Wärmenetze, sondern müssen auch ganz einfach an unserem Energiebedarf arbeiten. Intelligente Steuerungssysteme sind dabei vielleicht eher das Tüpfelchen auf dem i, weil die großen Einsparungen nur mit modernen Gebäudehüllen zu erreichen sind. Dächer, Fassaden und Fenster entsprechen zu großen Teilen noch nicht dem Standard, der in vielen Zukunftsmodellen vorausgesetzt wird. Auch hier sollte man jedoch der Realität noch Platz lassen: Altbauten aus der Gründerzeit werden wohl kaum zu Niedrigenergiehäusern, aber wenn der Energiebedarf um bis zu 30 Prozent gesenkt werden kann, dann ist schon viel erreicht.

Die Wärmewende benötigt konkrete Wärmenetze

Letztendlich besteht auf technischer Seite noch die Herausforderung in der Wärmewende, reale Wärmenetze zu errichten. Diesen Punkt sollte man nicht außer Acht lassen, wenn Energiewende, Stromwende, Wärmewende und Digitalisierung mal wieder in einen Topf geworfen werden.

Anders als bei unserem Stromnetz haben wir kein flächendeckendes Wärmenetz und nicht einmal viele kleine Netze, die nur noch „smart“ gemacht werden müssten. Es geht nicht allein um Datenschutz oder Datenaustausch. Es müssen erst Potenzialanalysen, Modelle und mögliche Bebauungspläne erstellt werden, um dann zu entscheiden, wo ein ganz realer Leitungsbau stattfinden soll. Anders als bei der Stromversorgung ist es auch kaum zu erwarten, dass beispielsweise der Süden Deutschlands beim Thema Wärmeversorgung künftig in irgendeiner direkten Verbindung zum Norden steht. Bei der Wärme dominieren eher kleine Inseln, statt großen Netzen. Intelligente Vernetzung macht besonders dort Sinn, wo beispielsweise in der Industrie oder im Gewerbe viel überschüssige Prozesswärme anfällt, die ohne Wärmenetz einer weiteren Nutzung entgeht.

Digitalisierung als Retter der Wärmewende?

Nun also zur eigentlichen Frage: Kann Digitalisierung dabei helfen, die Wärmewende zu beschleunigen? Schaut man sich denkbare Szenarien für eine umfassende Wärmewende an, dann erscheint die Digitalisierung als vergleichsweise einfache Lösung. Dezentrale Bei der Wärmewende ist die Digitalisierung noch nicht fortgechritten. Foto: FotoliaEnergieversorgung mit erneuerbaren Energien würde ohne „digitale Unterstützung“ vermutlich hohe private und kommunale Investitionen erfordern. So könnten beispielsweise Biomasseanlagen und Blockheizkraftwerke, abgeschottet von anderen Gemeinden, ein lokales Netz mit Wärme versorgen. Diese Art der Wärmewende wäre allerdings sehr teuer, wenig flexibel und würde sich bestehende Strukturen kaum zunutze machen. Selbst wenn dies unterm Strich die günstigste Lösung wäre, so hätte man einen enormen Initialaufwand, der kaum auf kleinere Schritte aufgeteilt werden könnten. Da würde es eher „ganz oder gar nicht“ heißen.

Mit der Digitalisierung wäre das Projekt Wärmewende in vielen kleinen Schritten zu bewältigen, aber auch nur dann, wenn man sich nicht in Technologie-Utopien verrennt. Sofern überhaupt bekannt ist, was ein „Smart Grid“ sein soll, ist für viele Menschen der Schritt von vernetzter Energieversorgung zum „gläsernen Bürger“ nur sehr klein. Je abstrakter eine Idee ist, desto weiter rückt sie natürlich in die Ferne. Die Digitalisierung wird die Wärmewende mit Sicherheit nicht verlangsamen, aber auch keine plötzlichen Erfolge bringen. Es ist wahrscheinlicher, dass durch neue Geschäftsmodelle und Arbeitsprozesse allmählich das strickte Verhältnis zwischen Energieversorgern und Abnehmern aufgelöst wird. Vielleicht kann man eines Tages privaten Photovoltaikstrom ins öffentliche Netz einspeisen und dafür eine „Wärme-Gutschrift“ erhalten oder eine Brennstoffzelle wirtschaftlich betreiben, ohne die gesamte Energie selbst verbrauchen zu müssen. Senken wir gleichzeitig unseren Energiebedarf durch entsprechende Gebäudesanierungen, dann sind wir schon auf einem sehr guten Weg.

Wo sollen wir mit der digitalen Wärmewende anfangen?

Bei der Frage nach einer beschleunigten Wärmewende wäre natürlich auch die Frage angebracht, was wir überhaupt beschleunigen wollen. Die technische Entwicklung muss vermutlich kaum angekurbelt werden. Viel eher sind es reale Projekte, die mit der Digitalisierung beschleunigt werden sollen. In vielen Artikeln hat man den Eindruck, dass sich die technischen Experten gerne in eine Zeitmaschine setzen möchten, um am Tag X wieder auszusteigen, „wenn wir dann alle vernetzt sind“. Die Zeit zwischen heute und der „digitalen Zukunft“ wird dabei häufig ausgeblendet.

Vor allem anderen werden konkrete Akteure benötigt, die transparent auftreten und anfangen, kleinere Wärmenetze zu „spinnen“. Hier sind vermutlich Kommunen und Energieversorger (mit entsprechender staatlicher Unterstützung) in der Verantwortung zu sehen, um in Insel-Projekten die losen Enden allmählich miteinander zu verbinden. Im nächsten Schritt kann man sich daran machen, diese kleineren Inseln untereinander zu verbinden. Dabei sind Rückschläge und Fehlinvestition sicherlich auch ein Teil des Lernprozesses. Im Gegensatz dazu wäre es mit großer Wahrscheinlichkeit eher kontraproduktiv, die digitale Wärmewende erst auf dem Reißbrett von Anfang bis Ende durchzuplanen.

Fazit

Es konnte zumindest im Ansatz gezeigt werden, welches Potenzial die Digitalisierung für die Wärmewende bietet. Als wichtigster Punkt ist jedoch festzuhalten, dass „Digitalisierung“ und „Wärmewende“ keine wirklich konkreten Begriffe sind und es eher an uns liegt, was wir daraus machen. Die Digitalisierung wird sicherlich dabei helfen, traditionelle Modelle wie den privaten Heizungskauf samt Selbstversorgung oder das einseitige Verhältnis zwischen Energieversorgern und Abnehmern aufzulösen. Dabei wird sie aber eher als kostengünstige, technische Basis fungieren, während es vielleicht gesellschaftliche Prozesse sein werden, die als echter „Beschleuniger“ der Wärmewende dienen.

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  1. Andreas

    vor 7 Jahren

    Die Debatte ist wichtig und sinnvoll, was kann die Digitalisierung zur Wärmewende beitrage? Das werde ich auch noch aufgreifen im Blog, habe ich bisher aber aus zeitlichen Gründen noch nicht geschafft. Mir fehlen hier aber weitere Möglichkeiten der Digitalisierung, wie die bedarfsgesteuerte Heizung per App. Können wirklich über 30% des Heizenergieverbrauchs eingespart werden, wenn die Heizung weiß wann die Nutzer zu Hause sind und wann die Sonne im Winter scheint? Wenn, dann wäre es sehr kosteneffizient. Und was ist mit einer vergleichbaren Lösung im MFH mit Wärme und Strom aus einem BHKW oder PV-Anlage mit Mieterstrom und Wärmepumpe für die Heizung? Müssen es große Wärmenetze sein oder reicht eine lokale Vernetzung im Quartier mit digitaler Steuerung nach Bedarf? Solche Fragen würde ich gerne diskutieren.

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