Wie die Energiewende in der Stadt funktioniert

Gastautor Portrait

Roger Hackstock

Österreichischer Klima- und Energiefonds

Roger Hackstock ist seit mehr als zwanzig Jahren in der Energiewende aktiv. Er war viele Jahre Assistent der Geschäftsführung der Österreichischen Energieagentur, von 2002 bis 2013 leitete er als Geschäftsführer den Branchenverband Austria Solar. Mit dem ersten solaren, nur bei Sonnenlicht sichtbaren Jahresbericht sorgte er 2012 in der Werbebranche weltweit für Aufsehen. Seit 2013 ist er Mitglied im europäischen Energiewirtschafts-Think-Tank Energy Academy. Derzeit ist er im Österreichischen Klima- und Energiefonds als Programm-Manager tätig.

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21. Januar 2015
Quelle Foto Wilke

Erneuerbare Energie steht immer und überall zur Verfügung und sollte daher möglichst dezentral genutzt werden. Die meisten Menschen leben jedoch nicht umgeben von fruchtbaren Feldern, windumwehten Hügeln, üppigen Wäldern und rauschenden Bächen, wo erneuerbare Energie in Hülle und Fülle vorhanden ist. In der Europäischen Union leben 70 Prozent der Bevölkerung in Städten, Tendenz steigend. Haben wir auch dort genug erneuerbare Energiequellen, um die Versorgung und die Energiewende abzusichern?

Viele Städte weltweit haben sich diese Frage gestellt und eine eindeutige Antwort gefunden. New York will bis 2030 seine Treibhausgasemissionen durch Energieeinsparung und erneuerbare Energie um 30 Prozent senken. Amsterdam zielt bis 2025 auf minus 40 Prozent, Rotterdam minus 50 Prozent, Kopenhagen will die Emissionen gar auf Null reduzieren. Berlin will bis 2050 minus 85 Prozent erreichen, Zürich zumindest bei der Wärme minus 90 Prozent. Städte sind reich an Abwärme, Umgebungswärme und Solarenergie. In den meisten Städten entspricht das Solarpotenzial aller südseitigen Dächer fast genau dem Energiebedarf der Bevölkerung an Warmwasser und Heizung. Werden die Häuser thermisch saniert, stehen die Dächer auch zur Stromerzeugung zur Verfügung. In Stadtteilen mit vielen Einfamilienhäusern ist auch eine stärkere Nutzung von Pellets zur Wärmeversorgung möglich, da herrschen Bedingungen wie auf dem Land.

Wie man Stadtbewohner an der Energiewende beteiligt
Immer mehr Stadtwerke entdecken in den letzten Jahren das städtische Potenzial erneuerbarer Energie, etwa bei Betrieben mit hohem Wärme- und Stromverbrauch und großen Dachflächen. Solaranlage (Bild Nr. 1586)In Wien baut der Energieversorger seit Jahren auf die Dächer von Supermärkten und Lagerhallen Photovoltaik-Anlagen, an denen sich Private ab einem Betrag von 950 Euro beteiligen können. Damit können die Stadtbewohner an der eigenen Energiewende partizipieren, bei einer Verzinsung von 5 Prozent sind die Anteile jedes Mal in wenigen Tagen ausverkauft. Auch in der Stadt Salzburg werden seit dem Vorjahr Bürgersolaranlagen auf Bahnhöfen, Werkheimen und Zentrallagern errichtet, die jedes Mal sofort ausverkauft sind. Einen anderen Weg der Flächennutzung hat Kaiserslautern gewählt. Auf einer ehemaligen Mülldeponie errichteten die Stadtwerke große PV-Freiflächenanlagen mit insgesamt 6,4 Megawatt Leistung. Der Strom wird in das ein Kilometer entfernte Gewerbegebiet geleitet, wo Betriebe mit hohem Stromverbrauch die Möglichkeit haben, Teile der PV-Anlage zu erwerben und sich mit dem Strom selbst zu versorgen. Die Sonne liefert mitten in der Stadt langfristig sichere Energiekosten, die Stadt sieht das als Standortvorteil für die Unternehmen. In Österreich setzt man auch beim Ausbau von Solarwärme auf Bürgermodelle. Die letzte Ausbaustufe der größten Solarwärmeanlage Mitteleuropas, die am Dach eines Abfallverwertungsunternehmens der Stadt Graz montiert ist, wurde von BürgerInnen finanziert. Auch hier war das nötige Kapital binnen weniger Monate beisammen, die Verzinsung beträgt 4,5 Prozent, also weit mehr als auf der Bank.

Neue Geschäftsmodelle gefragt
Nicht nur bei Strom, auch bei der Wärmeversorgung sind neue Ideen gefragt. In Hamburg hat der Energieversorger sein Wärmenetz 2012 für Kunden geöffnet, die Solarwärme erzeugen und Hackstockeinspeisen wollen. Ab einer Kollektorfläche von 100 Quadratmeter haben sie acht Monate Zeit, die Menge der eingespeisten Wärme für ein Nutzungsentgelt von 2,5 Cent pro Kilowattstunde wieder zu beziehen. Eigentlich war das Modell für Wohnbaugesellschaften gedacht, mittlerweile nutzen aber vor allem Betriebe dieses Angebot. Um auch Mieter an der Energiewende teilhaben zu lassen, bieten seit dem Vorjahr Ökostromanbieter und Wohnungsbaugenossenschaften an, einen Mix aus Solarstrom vom Dach und Ökostrom aus dem Netz im Mehrfamilienhaus zu beziehen. Auf diese Weise wird bereits in Berlin, Heidelberg, Regensburg und anderen Städten erfolgreich der klassische Mieter-Vermieter Konflikt umgangen und die Energiewende vorangetrieben.
Die Beispiele zeigen, dass große Potenziale für die Energiewende auch in der Stadt schlummern, die mit neuen Finanzierungs- und Geschäftsmodellen gehoben werden können. Denn vor allem in den Städten wird sich entscheiden, ob uns die vollständige Energiewende in den nächsten Jahrzehnten gelingt.
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Redaktion:
Roger Hackstock hat im letzten Jahr ein viel beachtetes Buch veröffentlicht: „Energiewende – Die Revolution hat schon begonnen“ – erschienen im Verlag Kremayr & Scheriau.

Diskutieren Sie mit

  1. Günter Reiche

    vor 9 Jahren

    Danke für den anregenden Artikel.

    Ich vermisse aber Angaben von Größenordnungen.

    Sie schreiben: "In den meisten Städten entspricht das Solarpotenzial aller südseitigen Dächer fast genau dem Energiebedarf der Bevölkerung an Warmwasser und Heizung." Das kann nicht sein. In einem Sechsgeschosser, das leuchtet ein, steht anteilig pro Wohnung viel weniger Dachfläche und Speicherplatz (!!) zur Verfügung als in einem Einfamilienhaus. Das Potential mag da sein, aber es fällt vor allem im Sommer an und ist nicht speicherbar für die Phase, in der die Wärme gebraucht wird.

    Was die Pellets betrifft: Das Holz für den deutschen Bedarf wird heute schon vorwiegend aus Rumänien und dem Baltikum importiert. In nachhaltiger Forstwirtschaft kann ein steigender Verbrauch nicht befriedigt werden.

    Der Artikel erweckt bei allen Anregungen den Eindruck, der derzeitige Energiebedarf in den Städten könnte durch die Erneuerbaren in den Städten und deren Umfeld gedeckt werden. Das ist aber noch nicht einmal annähernd der Fall. Wer sich die konkreten Zahlen des Bedarfs (Effizienzsteigerungen eingerechnet) und den Erzeugungsmöglichkeiten durch Erneuerbare ansieht, wird feststellen, dass Ballungsräume sehr viel mehr Platz für die regenerative Versorgung benötigen als dort vorhanden ist.

  2. Roger Hackstock

    vor 9 Jahren

    Zu den Größenordnungen zwei Beispiele:

    Die Stadt Graz verfügt laut Solardachkataster über 14 Mio m2 geeignete Dachflächen für Solarnutzung. Auf diesen Dächern könnten rd. 2.000 GWh/Jahr Solarwärme erzeugt werden, genug um ganz Graz mit Warmwasser und Heizung zu versorgen.
    http://www.umweltservice.graz.at/infos/energie/Solarenergie_r.pdf

    In Wien sind laut Solardachkataster mehr als die Hälfte der Dachflächen für Solarnutzung geeignet. Auf diesen Dächern könnten 27.300 GWh/Jahr Solarwärme erzeugt werden, mehr als der gesamte Wärmebedarf aller Haushalte.
    http://www.wien.gv.at/stadtentwicklung/stadtvermessung/geodaten/solar/wiener-solarpotenzial.html

    Natürlich gibt es zusätzlich den Wärmebedarf von Betrieben und öffentlichen Einrichtungen zu decken und der Ertrag fällt v.a. im Sommerhalbjahr an, die Vergleiche (gibt es auch für deutsche Städte) sind mengenmäßig dennoch beeindruckend, finde ich.

    Zu Pellets ist die Situation in Österreich (zu 47,6 Prozent mit Wald bedeckt) sicher anders als in Deutschland. Dennoch gibt es noch große Potenziale zum Umstieg auf Holzheizungen, in Österreich lt. Biomasseverband für gut 500.000 Haushalte - auch in der Stadt.

    Insgesamt stimmt es aber, dass wir den Energieverbrauch stark senken müssen. Die Studie REGIO ENERGY zeigt für Österreich, dass wir den Energieverbrauch fürs Heizen halbieren (!) müssen, um uns vollständig mit erneuerbarer Energie zu versorgen.
    http://regioenergy.oir.at/downloads

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  3. Windmüller

    vor 9 Jahren

    Beim Artikel fiel mir ein chinesisches Sprichwort ein; "Wenn der Wind des Wandel weht, dann bauen die einen Mauern, die anderen Windmühlen "

  4. Roger Hackstock

    vor 9 Jahren

    Genau - mein Beitrag plädiert für die Windmühlen-Strategie! :-)

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