Bundestagswahlkampf 2017: Wie weiter mit der Energiewende?

Gastautor Portrait

Dr. Julia Verlinden

Sprecherin für Energiepolitik der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen

Dr. Julia Verlinden ist seit 2013 Mitglied des Deutschen Bundestages. Sie sitzt im Ausschuss für Wirtschaft und Energie und ist Sprecherin für Energiepolitik der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. Verlinden studierte Umweltwissenschaften an der Leuphana Universität Lüneburg und promovierte 2012 über Energieeffizienzpolitik. Von 2006 an arbeitete sie als Wissenschaftlerin im Umweltbundesamt, zuletzt als Leiterin des Fachgebietes Energieeffizienz. Mehr auf www.julia-verlinden.de Foto: Rainer Kurzeder

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04. Mai 2017

GRÜNE: Mehr Mut zur Zukunft

Die Energiewirtschaft steckt mitten in einer Zäsur. In Deutschland, in Europa und auch weltweit setzt sich die Erkenntnis durch, dass die Klimakrise und der wachsende Energiehunger gleichzeitig gelöst werden müssen. Und zwar so, dass kommenden Generationen die Zukunft eröffnet und nicht verbaut wird. Diese Erkenntnis gipfelte im Dezember 2015 im Pariser Klimaabkommen, das von 194 Staaten unterzeichnet wurde.

Umso ernüchternder ist es, dass Deutschland gerade im Jahr nach Paris den Anschluss an die Klimaschutz-Weltspitze verloren hat. Während überall auf der Welt der Ausbau erneuerbarer Energien boomt, haben sich die Investitionen bei uns gegenüber 2015 halbiert. Gleichzeitig hält die Bundesregierung unverdrossen an Kohlekraftwerken fest, denen sie sogar neue Subventionen in Milliardenhöhe zugeschustert hat. Und im Verkehrssektor legt sie vollends die Hände in den Schoß. Die Quittung liegt inzwischen auf dem Tisch und ist ein klimapolitischer Offenbarungseid: Anstatt zu sinken, ist der nationale Ausstoß des Klimagases CO2 im Jahr 2016 angestiegen!

Zukunftsenergie ist grün

Deutschland braucht bei der Energiewende mehr Mut zur Zukunft. Die Strom- und Wärmeversorgung muss vollständig auf erneuerbare Quellen umgestellt werden, im Verkehrsbereich müssen Ökostrom und andere CO2-arme oder -freie Antriebe innerhalb der kommenden Jahre zum Trendsetter am Markt werden. Darüber hinaus müssen wir den Gesamtenergieverbrauch drosseln. Das geht nur mit Innovation und klimaverträglichen Technologien im Strom-, Wärme und Verkehrsbereich. Tausende Unternehmen warten auf den Startschuss und die richtigen (wirtschafts-)politischen Rahmenbedingungen, in der Energiewirtschaft, der Digitalwirtschaft oder auch in den F+E-Abteilungen der Autoindustrie. Das Lavieren der schwarz-roten Koalition muss ein Ende haben.

Kohleausstieg jetzt einleiten

Voraussetzung für eine Trendwende in der Energie- und Klimapolitik ist der schrittweise Kohleausstieg. Um die Versäumnisse der Bundesregierung auszugleichen und die Klimaziele 2020 doch noch zu erreichen, müssen mindestens 20 alte Kohlekraftwerksblöcke schnell vom Netz. Die verbleibenden Kohlekraftwerke sollen dann spätestens bis Mitte der 2030er Jahre folgen.

Dazu braucht es endlich einen breiten gesellschaftlichen Diskurs und für die betroffenen Regionen einen Strukturentwicklungsfond, der neue Beschäftigung und Entwicklungschancen eröffnet. Energiewirtschaftlich gibt es ohnehin keine Alternative, denn in einer Stromversorgung mit immer mehr schwankender Wind- und Solarstromerzeugung haben die schwerfälligen Kohlemeiler keine Zukunft.

Erneuerbare beflügeln – Bürgerengagement stärken

Die bürokratische Deckelung der Erneuerbaren wurde immer schon zurecht kritisiert. Bei Erzeugungspreisen von unter 7 Cent pro Kilowattstunde ist sie schlichtweg überflüssig. Wer das Paris-Abkommen ernst nimmt, muss mindestens 4.000 MW Windkraft an Land und 5.000 MW Solar jährlich neu installieren. Außerdem sollte das Engagement der Bürgerinnen und Bürger für die Energiewende endlich wieder gewürdigt und neu entfacht werden. Wir GRÜNE wollen kleinere Windprojekte von den Ausschreibungen freistellen. Bürgerenergien brauchen endlich wieder Luft zum Atmen.

Energiesparen verbindlich machen

Weiterhin wird Energieverschwendung in der Industrie mit Privilegien bei Energiesteuern belohnt. Es wundert also nicht, dass Energiespar-Kampagnen ins Leere laufen und über ein Drittel der Fördermittel fürs Energiesparen nicht abgerufen wird. Energiesparen braucht eine verlässliche Basis, mit verbindlichen Zielen, Energiestandards und Instrumenten. Dazu gehören zum Beispiel Ausschreibungen für Effizienzprojekte. Damit geben wir dem Energiedienstleistungsmarkt endlich eine Chance. Das schafft neue Arbeitsplätze, vor allem im Handwerk.

Strom, Wärme und Verkehr verbinden

Die Sektorengrenzen zwischen Strom, Wärme und Verkehr behindern die Energiewende. Wärme wird vermehrt aus Strom erzeugt werden, Autos immer häufiger mit Strom fahren, LKWs mit aus Ökostrom erzeugtem Wasserstoff. Es ist sinnvoll und spart Geld, Ökostrom in diese Bereiche zu leiten, anstatt Windräder abzuschalten. Das wird umso besser gelingen, wenn wir Speicherbatterien, Power-to-Gas-Anlagen, aber auch Wärmespeicher bereitstellen. Sie dürfen nicht länger mit viel zu hohen Umlagen und Abgaben belastet werden.

Faire Wärme – klimafreundlich, bezahlbar, grün

Der Gebäudebestand darf aus einer Klimaschutzstrategie nicht ausgeklammert bleiben. Wir GRÜNE kämpfen für bezahlbare Mieten in guten Wohnungen, deren Energiekosten auf Dauer bezahlbar bleiben. Wir wollen Klimaschutz mit Gerechtigkeit für Mieter verbinden und zugleich Impulse für das Handwerk geben.

Hier ist staatliche Förderung gut angelegt und wird dringend gebraucht. Wir GRÜNE wollen sie deshalb auf rund 7 Mrd. Euro verdoppeln und zur sozialverträglichen energetischen Modernisierung von Wohnviertel mit hohem Anteil einkommensschwacher Haushalte einsetzen. Zentraler Akteur sollen die Kommunen sein. Sie haben das Knowhow und die Möglichkeit, die Menschen vor Ort von Beginn an bei allen Vorhaben wirksam zu beteiligen.

Ökostrom und Energiewende

Dank des EEG ist Ökostrom heute sehr günstig zu erzeugen. Davon sollen jetzt auch alle profitieren können. Es wird auch deshalb Zeit, die Bremsen zu lösen, die bislang verhindern, dass sich Ökostrom etwa als Mieterstrom oder als direkt und regional vermarkteter Ökostrom ohne zusätzliche Förderung behaupten kann.

Und es braucht endlich eine faire Kostenverteilung. Über 6 Mrd. Euro bringen Privatkunden und Mittelstand inzwischen jährlich für die Privilegien der Großindustrie bei EEG-Umlage und Netzentgelten auf – Tendenz steigend! Damit die Energiewende weitergeht, die Kosten aber für alle bezahlbar bleiben, wollen wir die Industrieausnahmen zugunsten der Normalkunden begrenzen und an Energieeffizienzmaßnahmen binden. Aber es geht noch mehr: Die gesamte Industrieprivilegien könnten über den Bundeshaushalt statt über die Stromrechnung finanziert, Ökostrom von der Stromsteuer befreit werden. So würde Strom für Normalkunden preiswerter. Wir GRÜNE arbeiten an solchen Lösungen, während Union und SPD weiterhin die Stromkunden für die Industrieprivilegien zahlen lassen.

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  1. Matthias Grobleben

    vor 7 Jahren

    Ich kann kaum glauben was aus der Feder einer Bündnis90/Die Grünen kommt. Bisher hörte sich das anders an, aber vielleicht haben die letzten Umfragen doch geholfen nochmals über das Thema nachzudenken. Was allerdings fehlt ist eine Aussage zum Netzausbau. Wenn allerdings alle die oben genannten Themen realisiert werden, ist der nur noch in kleinen Teilen erforderlich.

  2. Karin Aufhammer

    vor 7 Jahren

    Wenn ein Bäcker Super- Ökobrötchen herstellt, diese sich aber nicht verkaufen lassen ,muss er umdenken.
    Wenn EEG-Umlagen und Netzgebühren den Strom verteuern , wenn wundert's , dass der kleine Endverbraucher mit Öl, Holz und Kohle heizt, um dem Ökopreis auszuweichen , denn ca. 70 % der im Haushalt aufgewendeten Energie entfällt auf die Heizung. Also:
    "Butter bei die Fische" im Energiewende-Programm der Parteien!
    1. EEG-Umlage und Netzgebühren müssen raus aus der Stromrechnung und als Gemeinwohlaufgabe (Soli) einkommensgemäß über die Steuer finanziert werden.
    2. Investitionen sollten über ihre Amortisierung hinaus nicht als garantierte Rendite auf 20 Jahre hin ausufern .
    3.Ausländischer Ökostrom soll ohne EEG-Umlage eingeführt werden . Freier Wettbewerb .
    4.Die Zertifizierung von Ökostrom § 79 a ( 6)soll nicht als Etikett dienen, sondern der Direktvermarktung : Wenn im 50 km-Umkreis einer Postleitzahl Ökostromproduktion und -verbrauch zusammenfallen mit Speichermöglichkeit, dann entfallen der Weg über die Leipziger Börse und Netzausbau, somit EEG-Umlage und Netzgebühren.
    5.Durch die Flexibilisierung entfällt die Unterscheidung zwischen Tag- und Nachtstrom .
    6. Die Doppelbesteuerung durch die Mw.St. auf die EEG-Umlage dürfte unerlaubt sein.

    Politisches Ziel: Ökostrom muss billiger sein als Grau-Strom, finanzierbar für alle Endverbraucher.

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