War watt? Erfahrung versus Vorurteil

Gastautor Portrait

Hubertus Grass

Kolumnist

Nach Studium, politischem Engagement und Berufseinstieg in Aachen zog es Hubertus Grass nach Sachsen. Beruflich war er tätig als Landesgeschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen, Prokurist der Unternehmensberatung Bridges und Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dresden. 2011 hat er sich als Unternehmensberater in Dresden selbständig gemacht.

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14. April 2016
War watt? ist die energiepolitische Kolumne von Hubertus Grass. Hier geht es um die Energiewende. Wie bekommen wir die gut hin?

Ausländerfeindlichkeit und Rassismus sind in Deutschland häufiger in jenen Landstrichen anzutreffen, in denen es nur wenige Ausländer gibt. Diese Abneigung gegenüber dem unbekannten Fremden liegt im Stück weit im Wesen des Menschen, der – von den forschungsfreudigen Ausnahmen abgesehen – gern auf seine Erfahrungen vertraut und Neuland nur zögerlich betritt. Schon der Universalgelehrte Alexander von Humboldt, warnte vor der Weltanschauung jener Leute, die die Welt nie angeschaut haben. Wo mangels Erfahrungen das Vorurteil das abgewogene Urteil ersetzen muss, sind Fehlurteile vorprogrammiert.

Dass die Ablehnung sich häufig umgekehrt proportional zu den eigenen Erfahrungen verhält, gilt auch im Umgang mit den Erneuerbaren Energien. Wo fanden die stärksten Eingriffe in die Landschaft zu Gunsten der Erneuerbaren Energien statt? Wo stehen die meisten und größten Windenergieanlagen? In Norddeutschland. Wo ist die Zustimmung zu den Erneuerbaren am höchsten? Richtig, in Norddeutschland. „80 Prozent der Befragten aus den Bundesländern Bremen, Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein gaben an, dass sie die damalige Entscheidung nach wie vor für richtig halten. In den süddeutschen Bundesländern Baden-Württemberg und Bayern ist die Zustimmung nicht so hoch – hier sind es fast 10 Prozent weniger, die nach wie vor der Energiewende zustimmen.“

Dass Windkraftanlagen die Vögel- und Fledermauspopulationen wenn nicht bedrohen, so doch Staremehr oder minder stark beeinträchtigen, dieses Wissen ist zum Teil der Allgemeinbildung geworden. Den Teil unseres Gehirns, wo sich dieses vermeintliche Wissen gespeichert wurde, können wir nun beruhigt mit neuen Informationen überschreiben. Die Bedrohung von Großvögeln durch Windkraftanlagen ist bestenfalls ein „Scheinproblem“. Die Studie aus der Schweiz bestätigt gemäß den Klimarettern damit frühere Untersuchungen aus Deutschland und den USA.
Auch beim Artenschutz stolpern wir über die Mechanismen, mit denen wir Probleme wahrnehmen. Windkraftanlagen sind immer mit einem starken Eingriff in die Landschaft, wie wir sie kennen, verbunden. Auch dadurch, dass sie relativ schnell – innerhalb einer kurzen Bauzeit – entstehen, nehmen wir sie als drastische Veränderung wahr. De facto ist der Eingriff in die Landschaft ein von der Fläche her betrachtet relativ kleiner. Vögeln machen Windkraftanlagen relativ wenig aus. In ihrer Existenz bedroht werden sie durch:

  • die Ausweitung der industriellen Landwirtschaft,
  • dem damit einhergehenden Rückgang der Biodiversität,
  • den Straßenverkehr,
  • Freileitungen und nicht zuletzt
  • durch die Veränderung des Klimas.

Gegen letztes gibt es Mittel: Windkraftanlagen zum Beispiel. Obgleich diese Fakten mehrfach wissenschaftlich belegt wurden, bewegen sie in den Köpfen wenig. Welcher Gegner der Windkraft nahm sich Dank besserer Einsicht dem Vogelschutz an, in dem er nun gegen die weitere Industrialisierung der Landwirtschaft oder den Ausbau der Straßen kämpft? So sind wir Menschen nicht gestrickt. Wer Einsicht zeigt, gesteht ein, sich geirrt zu haben. Da halten wir doch lieber an unserer geliebten Meinung auch dann fest, wenn das argumentative Fundament sich aufgelöst hat.

Einer der solch brüchige Fundamente mit Hilfe von Vorurteilen baute, war der frühere sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf. Von ihm sind diese markanten Sätze über die Windkraftanlagen überliefert: ”In Wirklichkeit handelt es sich bei diesen Anlagen um Gelddruckmaschinen. Sie sind ökonomisch ebenso sinnlos wie ökologisch. Wir sollten deshalb darauf hinwirken, dass keine weiteren Anlagen dieser Art erstellt werdenKlimaschutz, Voruteil, Braunkohle.”
Obgleich frei von frei von Kenntnis und Erfahrung geäußert, wirkt das (Vor-) Urteil des verdienstvollen sächsischen Ministerpräsidenten bis heute in Sachsen nach. Sachsen träumt noch immer von der Zukunft der Braunkohle, die Sterbeglocken dieses Energieträgers immer lauter werden. Die Beschlüsse des Klimagipfels von Paris müssen Folgen für die deutsche Klimapolitik haben. Agora hat diese Woche darauf hingewiesen und die Braunkohleplanung untersucht.

Und wenn die Sachsen und die anderen, die lieber ihre Vorteile pflegen als die Realität zur Kenntnis zu nehmen, wenig vom Klimaschutz halten, dann hilft vielleicht ein Blick auf die wirtschaftliche Realitäten. In dieser Woche legte der größte Kohleförderer der Welt, das Unternehmen Peabody, eine saubere Pleite hin. Das Kohlezeitalter geht unweigerlich zu Ende. Wir wären gut beraten, uns von den (sehr, sehr teuren) Erfahrungen mit dem Ausstieg aus der Steinkohle leiten zu lassen.

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  1. Windmüller

    vor 8 Jahren

    Besser hätte man einen Artikel nicht schreiben können ! Es ist in der Tat so, dass es beim Vogelschutz Dinge gibt, die man nicht verstehen muss. Wir haben vor 13 Jahren einen Bürgerwindpark mit 14 Anlagen realisiert. Vor 2 Jahren sollten 2 Maschinen dazukommen. Bei der UVP Prüfung entdeckte man zwei Vogelarten, die auf der roten Liste stehen. Diese waren beim Bau der 14 Anlagen definitiv noch nicht dort. Die 2 Anlagen durften nicht gebaut werden, obwohl der Beweis erbracht war, dass sich Vogelschutz und Windkraft nicht ausschließen.

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