Flexibilisierung und Digitalisierung: Chance für die neue Energiewirtschaft

Gastautor Portrait

Robert Busch

Bundesverband Neue Energiewirtschaft

Robert Busch führt seit 2005 die Geschäfte des Bundesverbands Neue Energiewirtschaft. Der Jurist begann seine Karriere als Justitiar bei der ares Energie-direkt GmbH, arbeitete für die "Task Force Netzzugang" im Bundeswirtschaftsministerium und war Geschäftsführer der statt-werk GmbH.

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09. September 2015
Bundesverband Neuer Energieanbieter

Mit dem Flexmarkt hat der Bundesverband Neue Energiewirtschaft (bne) ein Modell entwickelt, mit dem sich Flexibilität wettbewerblich und systemdienlich organisieren lässt. Er ist zugleich ein Schritt ins Zeitalter der digitalen Energiewirtschaft.

Der Wind blies recht heftig im ersten Halbjahr. Die Windkraftanlagen hierzulande speisten satte 39 Prozent mehr Strom ins Netz ein als noch zwischen Januar und Juni 2014. Was die Besitzer freut, treibt so manchem Netzbetreiber die Schweißperlen auf die Stirn. Denn die steigenden Mengen des wetterbedingt schwankenden Ökostroms erhöhen den Aufwand und die Kosten für die Netzstabilisierung, zumal nach wie vor Transportleitungen fehlen. Die Frage, wie sich die fluktuierenden Strommengen aus Wind und Sonne effizient integrieren lassen, wird immer wichtiger.

Flexibilierung, Energiewende, Energiewirtschaft, Solaranlage Antworten bieten flexible und miteinander vernetzte Lösungen wie Speicher, Lastmanagement oder moderne Wärmepumpen, mit denen sich etwa Lastspitzen aufnehmen lassen. Dahinter steht aber mehr als nur ein bloßer Beitrag zur Netzstabilisierung. Die Flexibilisierung läutet einen grundlegenden Wandel in der Energiewirtschaft ein. „Wir bewegen uns von einem Stromsystem, in dem regelbare Kraft­werke der Stromnachfrage folgen, zu einem effizien­ten Stromsystem, in dem flexible Erzeuger, flexible Verbraucher und Speicher auf das fluktuierende Stromangebot aus Wind und Sonne reagieren“, heißt es dazu im Weißbuch des Bundeswirtschaftsministerium von Anfang Juli.

Neue Rolle für den Verbraucher

Zusammengefasst: Der Verbraucher soll und muss aktiver am Energiemarkt teilnehmen und helfen die Energiewende zu stemmen. Möglich macht dies die immer leistungsstärkere IT. So reagiert digitale Messtechnik etwa bei hohem Erneuerbaren-Anteilen und niedrigen Spotmarktpreisen automatisch und lädt den Batteriespeicher oder versorgt die Wärmepumpe im Keller.

So weit, so gut. Noch ist das Energiesystem jedoch nicht auf die Flexibilisierung vorbereitet. FlexmarktBNE, Energiewende, FlixibilisierungDenn wenn etwa viele Verbraucher auf den unteren Netzebenen auf Börsenstrompreise reagieren, gerät die Infrastruktur schnell an Grenzen. Sie ist beispielsweise nicht darauf ausgelegt, dass alle gleichzeitig die maximal mögliche Leistung beziehen. In der alten Energiewelt war dies auch nie der Fall. Die lokalen Netze nun mit massiven Investitionen allein in Netzzubau fit zu machen, wäre ein eher simpler und unnötig teurer Weg. Es gibt intelligentere Wege, um die Flexibilisierung zu ermöglichen.

Börsenstrompreis reicht nicht als Signal

Es braucht neben dem Börsenstrompreis, der in ganz Deutschland und darüber hinaus das gleiche Signal gibt, ein zweites Signal: Wenn viel Windstrom aus dem Norden die Preise sinken lässt und damit das Signal zum Verbrauch gibt, kann in Südbaden zeitgleich ein Wolkenfeld durchziehen und die Solarstromproduktion dimmen. Ist dann ein Ausgleich über das Übertragungsnetz nicht möglich, ist in dieser Region ein geringerer statt ein höherer Verbrauch angezeigt, um das Netz stabil zu halten. Die Bundesnetzagentur mahnt ganz aktuell in einem Bericht, dass ein regional undifferenziertes Signal zur Lasterhöhung schädliche Wirkung für regionale Netze haben kann.

Regionale Flexibilität organisieren

Mit dem Flexmarkt hat der Bundesverband Neue Energiewirtschaft ein Modell vorgelegt, das regionale Bedingungen im Blick hat und dabei einen Wettbewerb um Flexibilitätsoptionen ermöglicht. Die Idee: Ein regionales Signal zeigt zusätzlich zum Börsenstrompreis an, ob, in welchem Umfang und zu welcher Uhrzeit ein flexibles Verbrauchsverhalten in einer Region angezeigt ist.

Ein Beispiel: Wenn absehbar ist, dass etwa viel Windstrom den Börsenstrompreis am Folgetag drücken wird, gleichzeitig in einer Region im Netz aber Überlastungen drohen, wirkt das regionale Signal des Flexmarktes dem entgegen. Netzbetreiber fragen über regionale Leitwarten oder Verbünde an, wo und in welchem Umfang Flexibilität vorhanden sind. So kann ein Kühlhaus die Kälteproduktion für kurze Zeit zurückfahren, ohne dass eingelagerte Waren verderben, ein Hausbesitzer kann auf Signal einen Speicher im Keller oder sein Elektroauto laden oder entladen, Industriebetriebe nach Möglichkeit die Produktionszeiten verschieben.

Symbiose von Energie und IT

Das spannende dabei: Für die Unternehmen bieten sich in dieser neuen Energiewirtschaft viele neue und digitale Geschäftsmodelle, indem sie Steuerungspotentiale aus Speichern, Offshore-Windpark, flexiblisierung, Energiewende, EnergiewirtschaftLastmanagement oder Power-to-Heat vernetzen und im Wettbewerb anbieten. Wenn Kunden einen Teil des Stroms selbst erzeugen und dadurch der Kilowattstundenabsatz sinkt, bieten solche Steuer- und Vernetzungsservices neue Perspektiven. Die vielbeschworene Symbiose von Energie und IT, hier wird sie Realität.

Für den Verteilnetzbetreiber vor Ort bietet die Flexibilisierung einen großen Vorteil: Mit der intelligenten Vernetzung von Verbrauch und Erzeugung lässt sich der Ausbaubedarf deutlich reduzieren. Statt nur in Kupfer zu investieren, kann er also einen Teil seines Budgets für die Flexibilisierung nutzen. Vertriebe könnten ihren Kunden damit einen finanziellen Anreiz bieten, Flexibilität zur Verfügung zu stellen und sich systemdienlich zu verhalten.

Netzentgeltsystematik reformieren

Die gegenwärtige zersplitterte Netzstruktur ist für einen solches System allerdings nicht ausgelegt. Nötig ist eine effizientere Organisation der über 900 Stromverteilnetzbetreiber zu maximal 25 regionalen Verbünden. Das Eigentum an den lokalen Netzen bleibt dabei unverändert, wichtige Informationen zu Einspeisung und Verbrauch vor Ort laufen jedoch in den Netzclustern zusammen.

Ein weiteres Hindernis der Flexibilisierung sind die bestehenden Netzentgeltstrukturen, die etwa große Energieverbraucher dafür belohnen, dass sie kontinuierlich Strom verbrauchen. Gleiches gilt für überkommene Regelungen, die einen Verbrauch in Schwachlastzeiten, sprich nachts, anreizen. Der Wind richtet sich nicht nun mal nicht nach Tag- und Nacht-Fenstern. Zusammengenommen haben diese Fehlanreize einen Gegenwert von mehreren Hundert Millionen Euro. Mit diesem Geld ließe sich die notwendige Flexibilisierung sinnvoll anreizen.

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  1. Thorsten Zoerner

    vor 9 Jahren

    Mit dem Grünstromindex steht bereits heute die Möglichkeit, jedem Stromkunden eine Vorschau zu geben, wann man mehr und wann man mehr Strom in den kommenden 36 Stunden verbrauchen sollte. Regionalemärkte haben meist ein Problem der fehlenden Geldmenge - durch einfache Indikatoren, wie der GSI, können grundlegende Flexibilitätsoptionen direkt in die Steuerrung integriert werden.

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