War watt? Gabriel weiter auf Schlingerkurs beim Klimaschutz

Gastautor Portrait

Hubertus Grass

Kolumnist

Nach Studium, politischem Engagement und Berufseinstieg in Aachen zog es Hubertus Grass nach Sachsen. Beruflich war er tätig als Landesgeschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen, Prokurist der Unternehmensberatung Bridges und Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dresden. 2011 hat er sich als Unternehmensberater in Dresden selbständig gemacht.

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26. März 2015
Energiewende, Eckpunkte, Klimaabgabe

Das Aktionsprogramm Klimaschutz nennt die Aufgabe sehr exakt: 22 Millionen Tonnen CO2 sollen durch „weitere Maßnahmen, insbesondere im Stromsektor“ eingespart werden, heißt es dort auf Seite 20 der Publikation. Jetzt macht sich Bundeswirtschafts- und Energieminister Sigmar Gabriel an die Umsetzung. In der letzten Woche wurde zwischen dem Ministerium und dem Kanzleramt Eckpunkte zur Fortführung der Energiewende auf dem Strommarkt vereinbart, die am 21. März mit den Koalitionsfraktionen erörtert werden sollten. Das Papier gibt es zum Download.

Was steht drin im Papier: „Der nationale Klimaschutzbeitrag der deutschen Stromerzeugung“?

  1. Dem Kapazitätsmarkt erteilen die Autoren wie erwartet eine vorsichtige Absage.
  2. Kraftwerke, die älter als 20 Jahre sind, sollen ab einem Ausstoß von sieben Millionen Tonnen CO2-Ausstoß zusätzliche „Verschmutzungsrechte“ über den europäischen Emissionshandel hinaus kaufen. Angedacht ist eine Preisspanne von 18 bis 30 Euro/t.
  3. Das so eingenommene Geld soll dazu verwendet werden, Europäische Verschmutzungsrechte aufzukaufen und damit aus dem Markt zu nehmen.
  4. Von dem Ziel, bis 2020 einen Anteil der KWK-Anlagen von 25% an der Stromerzeugung zu erreichen, nimmt das Eckpunktepapier Abstand.
  5. Der Industrie werden weitere Erleichterungen bei der Befreiung von der EEG-Umlage in Aussicht gestellt.

Ausführliche Zusammenfassungen finden sich bei den Klimarettern und bei den Phasenprüfern.

Energiewende, Eckpunkte, Klimaabgabe

Die Reaktionen oder: Wo hat die ostdeutsche Braunkohle ihr Gesicht?

Heftiger Widerstand gegen das Eckpunktepapier kommt aus Nordrhein-Westfalen, sowohl von der Opposition als auch von der Ministerpräsidentin, dem Wirtschaftsminister und der RWE. Auch in Brandenburg und in Sachsen schlugen die Wogen hoch. Einig in der Ablehnung der Pläne sind sich auch der Bundesverband der deutschen Industrie und die Gewerkschaft Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie. BDI-Chef Ulrich Grillo sprach von einer zusätzlichen Belastung, die Arbeitsplätze in Energiewirtschaft und Bergbau gefährde, „…ohne dass dadurch in Europa eine einzige Tonne CO2 eingespart wird.“ Der Vorsitzende der IGBCE, Michael Vassiliadis, malte das Bild eines «sozialen Blackouts» in der Lausitz an die Wand, und brachte, um seiner Ablehnung Nachdruck zu verleihen, 4000 Bergbaukumpel auf die Straße.

In seiner Rage über Gabriels Papier steuerte Brandenburgs Wirtschaftsminister Albrecht Gerber (SPD) ein schönes Bild in der Auseinandersetzung über die Zukunft der Energiewende bei. Gabriels Vorschläge, so Gerber, seien ein „Schlag ins Gesicht der ostdeutschen Braunkohle„.  Droht jetzt der Untergang des Abendlandes oder wenigstens die De-Industrialisierung Deutschlands? Manche Kritiker erweckten diesen Eindruck und vergaßen dabei, dass es nur um die schrittweise Reduktion eines in die Jahre gekommenen Kraftwerkparks geht. Und keineswegs um den Ausstieg aus der Kohleverstromung.

Klimaschutz ist Teil der Energiewende

Das Ziel, die deutschen CO2-Emissionen bis zum Jahre 2020 um 40% gegenüber dem Basisjahr Eckpunkte Klimaschutzbeitrag, Energiewende, Gabrielzu senken, ist acht Jahre alt und stammt vom damaligen Umweltminister, der 2007 Sigmar Gabriel hieß. Insgesamt fehlt noch eine Reduktion um 40 Millionen Tonnen. Schon die Verabschiedung der Papiere NAPE und Aktionsprogramm Klimaschutz waren alles andere als einfach und von Konflikten zwischen Gabriel und seiner Kabinettskollegin Hendriks geprägt. Für Rückschläge sorgte vor allem Horst Seehofer, der sich nicht nur gegen den Netzausbau in Bayern sperrt, sondern auch die Maßnahme aus dem NAPE zur steuerlichen Förderung der Gebäudesanierung erfolgreich torpedierte.

Allen, die den jetzt vorgelegten Eckpunkten widersprechen, ist gemein, dass sie laut kritisieren, aber ganz leise werden, wenn sie nach Alternativen gefragt werden, wie das Klimaschutzziel erreicht werden kann. Nachvollziehbar ist die Kritik, dass von der zusätzlichen CO2-Abgabe nur Kraftwerke betroffen sein sollen, die älter als 20 Jahre sind. Eine Tonne CO2 ist eine Tonne CO2, ihre schädliche Auswirkung auf den Klimawandel steht in keinem Zusammenhang mit dem Alter des Kraftwerks, aus dem sie kommt. Offensichtlich will der Bundeswirtschaftsminister aber gezielt alte Kraftwerke unwirtschaftlich machen und so aus dem Markt drängen. Felix Matthes vom Ökoinstitut, der an dem Papier selbst mitwirkte, sieht in dem Modell der zusätzlichen Bepreisung der Braunkohle bei ausgewählten Kraftwerken einen besonderen Charme.

Eckpunkte werden wieder rund

Der Bundeswirtschaftsminister hat in der Vergangenheit keine Gelegenheit verpasst, Seit an Seit mit der IGBCE und den Regierungen in NRW, Brandenburg und Sachsen zu schreiten. Furore Klimaschutz, Energiewendemachte sein Auftritt beim dena-Energieeffizienzkongress. Auch einen teilweisen Ausstieg aus der Verstromung der Braunkohle lehnte Gabriel bislang immer wieder ab.  Umso verwunderter reibt man sich nun über das Eckpunktepapier die Augen, weil es sich explizit gegen den alten Teil des Kraftwerksparks richtet.

Doch Gabriel rudert schon wieder zurück. Die Klimaschutzabgabe ist nicht das letzte Wort. NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft machte Gabriel die Zusage, die „Auswirkungen“ der im Eckpunktepapier angekündigten Klimaschutzabgabe für Kraftwerke, die älter sind als 20 Jahre, nochmal zu „überprüfen“.
Schon etwas seltsam: Haben die Autoren des Papiers ihre Vorschläge keiner Überprüfung unterzogen, bevor sie es dem Minister vorlegten und der es mit der Kanzlerin abstimmte? Morgen trifft sich Gabriel mit NRW-Wirtschaftsminister Duin und den anderen SPD-Wirtschaftsministern sowie Gewerkschafts-Chef Michael Vassiliadis, um über das Papier zu reden. Ein vergleichbares Treffen mit Umweltverbänden ist übrigens nicht geplant.

Strukturwandel der Reviere weiter vertagt

Dass das bereits abgestimmte Eckpunktepapier aus dieser SPD-Sitzung anders heraus kommen wird, als es hineingekommen ist, dürfte sicher sein. Fortschritte für die Energiewende und den EckpunkteKlimaschutz darf man von dieser Runde nicht erwarten, die versammelten Herren haben als erprobte Verteidiger der Besitzstände und des Status quo einen Ruf zu verlieren. Und so wird  auch kein Signal zu vernehmen sein, wie es denn in den drei deutschen Braunkohlerevieren weiter gehen soll. Seit 25 Jahren ist bekannt, dass die Fortführung der Verstromung der Braunkohle sich mit dem Klimaschutz nicht verträgt. 25 Jahre hatte man Zeit, einen Strukturwandel in den Revieren einzuleiten.  Martin Dulig, SPD Wirtschaftsminister in Sachsen, forderte „Einer Region muss Zeit zur Umstrukturierung und Neuausrichtung gegeben werden.“  Die Regionen und vor allem die dafür verantwortlichen Politiker hatten alle Zeit der Welt, sie haben sie ungenutzt verstreichen lassen.


Update vom 28. März:
Manchmal ist es ärgerlich, recht zu behalten. Leider haben sich die Gabriel, Energiewende, BraunkohleVermutungen des War Watt bestätigt: Gabriel ist umgefallen. Der Prozess der Beratung wirft einen Schatten auf die Demokratie: Das Konzept wurde vom BMWi und externen Fachleuten erstellt, es wurde mit der Bundesumweltministerin und dem Kanzleramt abgestimmt. Jetzt wandert es auf den Müll, weil drei SPD-Minister und ein SPD-Gewerkschaftsboss dagegen opponiert haben.
Im Regierungsprogramm der SPD heißt es, wann wolle dem Klimaschutz weltweit zum Durchbruch verhelfen. Offenbar gehören NRW, Brandenburg und Sachsen nicht zu dieser Welt.

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  1. Dominik Pöschel

    vor 9 Jahren

    Ich weiß dass einknicken das ist was der Herr Gabriel am besten kann!!! Net einen Cent darf der Strompreis deswegen ansteigen Herr Reiche!!!!! Net einen Cent!!!!
    Die Grenze der Belastbarkeit ist erreicht was der Stromkunde schon alles trägt in seinem Strompreis!!!
    Die Fehler aus Berlin haben schon genug Milliarden gekostet!!!
    Wir haben uns im letzten Jahr schon unglaubwürdig gemacht was den Klimaschutz angeht indem wir den höchsten CO2 Ausstoß seit Jahren hatten da brauchen Sie nimmer drauf zu warten!!!!

  2. Dominik Pöschel

    vor 9 Jahren

    Ja jetzt geht's rund!!! Ich sage ja schon die ganze Zeit dass der Herr Gabriel keine Linie hat was den Klimaschutz angeht!!! Erst die Kohlekraftwerke aus dem Heimischen Wahlkreis laufen lassen und in Schutz nehmen und jetzt dafür den Stromkunden aus Deutschland die Rechnung bezahlen lassen!!!! Sein Vorhaben mit einer nationalen Abgabe Klimaschutz vorzugaukeln ist glatter Betrug am Endkunden denn der zahlt dafür mit einem höheren Strompreis. Kostet wohl bald 1 Euro die kWh Herr Gabriel
    Und die Umwelt wo wird Sie denn geschützt dadurch???
    Politik und Strom das passt hinten und vorne nicht!!!!!!!

  3. Günter Reiche

    vor 9 Jahren

    Mal ganz sachlich bleiben, Herr Pöschel.

    Laut den Berechnungen des Konzepts würde die vorgeschlagene Maßnahme den Strompreis um 0,2 Cent erhöhen. Dafür im Gegenzug 22 Mio. t CO2 einzusparen, wäre ein gutes Geschäft. Schlicht nicht verständlich, warum SPD, CDU, BDI und IGBCE dagegen so laut und unseriös polemisieren.

    Jetzt das Wochenende abwarten. Vielleicht sieht die Welt schon morgen ganz anders aus, weil Genosse Gabriel eingeknickt ist. Dann müssen die 22 Mio. t woanders her geholt werden - oder Deutschland macht sich im Klimaschutz völlig unglaubwürdig.

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