Grünbuch Strommarktdesign – Wie sieht die Zukunft des Strommarktes aus?

Gastautor Portrait

Markus Lempp

Leiter Public and Industry Affairs bei Danfoss

Über Brüssel und Berlin kam Markus Lempp nach Dänemark: In Brüssel befasste sich der Jurist mit der Liberalisierung der EU-Energiemärkte, in Berlin mit dem künftigen Strommarktdesign und beihilferechtlichen Auswirkungen auf die Strommärkte. Für den dänischen Global Player Danfoss verantwortet er den Bereich Public and Industry Affairs in Zentraleuropa. Die Energiewende spielt für Danfoss und ihn weiter eine zentrale und strategische Rolle, wenn auch aus einer anderen Perspektive. Der Industriekonzern ist einer der Marktführer für effiziente Energieanwendungen z.B. im Bereich Wärmetechnologien. Danfoss selbst ist auch ein großer Energieverbraucher.

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09. Dezember 2014

Anfang November hat das Bundeswirtschaftsministerium sein lang angekündigtes Grünbuch Strommarktdesign veröffentlicht. Ein Grünbuch ist ein Diskussionspapier mit dem Zweck, eine öffentliche und wissenschaftliche Diskussion zu einem Thema herbeizuführen und politische Ziele umzusetzen. Insofern handelt es sich um eine – in erster Linie an die Politik gerichtete – Bestandsaufnahme.

Das Grünbuch fasst den Stand der Kapazitätsmarktdebatte, beginnend mit den heutigen Herausforderungen, zusammen. Es kommentiert erneut die Strommarktgutachten von August und beleuchtet Kritikpunkte. Herausgearbeitet wird die Frage, ob ausreichend Kapazitäten vorhanden sind bzw. sein werden und welche Annahmen zu dieser oder zu jener Antwort führen. Schließlich zeigt es die daraus resultierenden Handlungsoptionen nebst dem daraus folgenden Handlungsbedarf auf. Handlungsempfehlungen enthält es aber, wie angekündigt, keine. Diese sollen im Mai 2015 mit der Vorlage eines Weißbuchs folgen, welches bis September 2015  mit anschließendem Gesetzgebungsverfahren konsultiert werden soll.

Teil I: Der Strommarkt heute und morgen
Zunächst wird die bekannte Herausforderung an den Strommarkt thematisiert, auch bei weiter steigendem Anteil erneuerbarer Stromproduktion dafür zu sorgen, dass grünbucheinerseits genügend Kapazitäten vorgehalten werden (Vorhaltefunktion) und andererseits, dass sie zeitgerecht und im richtigen Umfang eingesetzt werden (Einsatzfunktion). Nicht ganz so weit verbreitet ist die vom BMWi hervorgehobene Herausforderung, die hohe konventionelle Mindesterzeugung zu reduzieren. In Situationen geringer Stromnachfrage und hoher Wind- und PV-Einspeisung (geringer Residuallast), beträgt der Anteil von „Must-Run-Kapazitäten“ bis zu 25 GW bzw. rund ein Drittel der Gesamtlast. Es handelt sich um Anlagen, die auch bei Börsenstrompreisen von Null oder bei negativen Preisen noch laufen müssen, weil sie zur Aufrechterhaltung der Systemstabilität, zur Regelleistungserzeugung, für Blindleistung, Redispatch o. Ä. erforderlich sind. Andere Kraftwerke müssen laufen, weil ihre Wärme benötigt wird. Das BMWi sieht hier eine kostenineffiziente Erschwerung der Synchronisierung von Erzeugung und Verbrauch, die heute dazu führe, dass kostengünstiger Strom aus erneuerbaren Energien (EE) abgeregelt werden müsse. Eine Reduzierung der Must-Run-Kapazitäten sei etwa möglich, indem künftig Systemdienstleistungen durch alternative Techniken und erneuerbare Energien bereitgestellt werden. 

Teil II: Maßnahmen für einen sicheren, kosteneffizienten und umweltverträglichen Einsatz aller Erzeuger und Verbraucher („Sowieso-Maßnahmen“)
Unabhängig von der Frage, ob das Kapazitätsniveau gesichert ist, nennt das Grünbuch eine Reihe von Maßnahmen, die zur Optimierung des Strommarktes notwendig seien. So soll der Wettbewerb im kurzfristigen Segment der Strombörse (Day-Ahead- und Intradaymärkten) gestärkt werden, etwa indem der Handelsschluss im Intraday-Markt näher an den Lieferzeitpunkt gerückt wird. So könnten z. B. Preissignale besser genutzt werden, weil mit kürzerem Abstand zur Lieferung bessere Prognosen für Verbrauch und erneuerbare Erzeugung vorhanden wären. Weiter soll etwa die Bilanzkreistreue durch höhere Strafzahlungen verbessert werden.

Auch eine Änderung der Struktur der Netzentgelte wird angedacht. Heute würden Preissignale durch staatlich veranlasste Preisbestandteile häufig gedämpft. Die Flexibilität der Verbraucher müsse verbessert werden. Dazu könnten staatlich verursachte Preisbestandteile und Netzentgelte künftig stärker auf Leistungsbasis als auf kWh-Basis erhoben werden. Wesentlich bei den „Sowieso-Maßnahmen“ ist auch der Netzausbau. Er umfasst die Verteilnetzebene, die immer häufiger vor Spannungsproblemen stehe, welche mittels neuer Technik, wie regelbarer Ortsnetztransformatoren, gemindert werden könnten. Auch die Beseitigung der Netzengpässe in Deutschland wird thematisiert. Ohne eine Beseitigung der Netzengpässe bestehe die Gefahr, dass Deutschland als einheitliche Preiszone nicht erhalten werden könne, was unbedingt zu vermeiden sei. Weil sich die Beseitigung der Netzengpässe verzögere, sei weiter ein Redispatch in erheblichem Ausmaße erforderlich: Bei Stromflüssen nach Süden müssen vor dem Netzengpass Erzeugungsanlagen abgeregelt werden. Hinter dem Netzengpass müssen sie hochgefahren werden. Damit für diesen Redispatch, insbesondere in Süddeutschland, weiter ausreichend Kraftwerkskapazitäten zur Verfügung stehen, müssen diese weiter durch die Netzreserve in Form von Reservekraftwerken gesichert werden. Im Ergebnis soll die Reservekraftwerksverordnung bis ca. 2022 verlängert werden. Vorstellbar ist nach dem Grünbuch auch, dass die Reservekraftwerksverordnung durch eine regional differenzierte Kapazitätsreserve abgelöst wird. Diese Kapazitätsreserve wäre ähnlich der Netzreserve eine Absicherung des Strommarktes. Im Gegensatz zur Netzreserve würde sie aber von den Netzbetreibern wettbewerblich beschafft und dürfte nicht mehr am Strommarkt teilnehmen. Das Grünbuch betont wegen des hohen Anteils des Stromsektors an den CO2-Emissionen auch die Bedeutung des Strommarktdesigns und der flankierenden Instrumente zur Erreichung der Klimaziele. Die CO2-Emissionen des Kraftwerksparks müssten gesenkt werden, die Kraftwerke müssten effizient werden und eine hohe Flexibilität der Kraftwerke sei erforderlich. Dazu müssten Altanlagen nachgerüstet, Gaskraftwerke neu gebaut oder emissionsintensive Anlagen stillgelegt werden. Außer einer Ertüchtigung des CO2-Emissionshandels werden konkrete Vorstellungen zu den Instrumenten nicht geäußert, sie sind jedoch demnächst vom Bundesumweltministerium zu erwarten. 

BMWiProjekteEnergiewende

Teil III: Lösungsansätze für eine ausreichende, kosteneffiziente und umweltverträgliche Kapazitätsvorhaltung 
In Teil III wird die Frage behandelt, ob ein optimierter Strommarkt sicherstellen kann, dass ein ausreichendes Kapazitätsniveau vorgehalten wird. Diese Frage wird weiter zugespitzt zu der Frage, ob Investoren bereit sind, Investitionen in Anlagen vorzunehmen, die nur selten genutzt werden. Diese Frage könne nur unter der Annahme mit „JA“ beantwortet werden, dass sich Knappheitspreise bilden werden. Dann können Investoren darauf vertrauen, dass die Knappheitssignale unverfälscht in den Markt gelangen. Die Politik müßte also Preisspitzen zulassen. Im Ergebnis müssten Politik und Gesellschaft daher eine Grundsatzentscheidung treffen, ob sie zu einer Weiterentwicklung des Strommarktes und möglichem Druck durch wohl auftretende Preisspitzen bereit seien (Option Strommarkt 2.0). Wenn dem nicht so sei, bedürfe es neben dem Strommarkt eines Kapazitätsmarktes (Option Kapazitätsmarkt). Zur Abwägung dieser Frage umreißt das Grünbuch Grundannahmen und Herausforderungen beider Optionen sowie den sich daraus ergebenden Handlungsbedarf: 

Die Option Strommarkt 2.0 basiere auf der Annahme, dass ein optimierter Strommarkt ausreichend Kapazitäten anreizt und kein zusätzlicher Kapazitätsmarkt erforderlich sei. Am Spotmarkt träten nur in wenigen Stunden Preisspitzen auf, die gesellschaftlich und politisch akzeptiert würden. Sie würden das allgemeine Preisniveau nur geringfügig beeinflussen, seien aber für Neuinvestitionen, auch in Spitzenlastkraftwerke, auskömmlich. Privatverbraucher seien über ihre Bezugsverträge mit ihren Versorgern gegen die Preisspitzen abgesichert. Die Preisspitzen trügen auch zur Erschließung von Flexibilitäten bei. Flexibilitätsoptionen seien ausreichend vorhanden und schnell und kostengünstig erschließbar. Zur Absicherung gegen Restrisiken sei die Vorhaltung eines höheren Kapazitätsniveaus kostengünstig mit einer Reserve möglich. Bei Wahl der Option Strommarkt 2.0 ergäbe sich außer den bereits beschriebenen „Sowieso-Maßnahmen“ weiterer Handlungsbedarf: Es bedürfe einer gesetzlichen Festlegung Preisspitzen zuzulassen sowie der Abschaffung des Mark-Up Verbots: In Knappheitssituationen sei es notwendig, dass Kraftwerke mit Preisen über ihren Grenzkosten bieten. Der Grund für das Mark-Up Verbot, dass Unternehmen ihre marktbeherrschende Stellung ausüben könnten, sei entfallen. Durch die Koppelung des deutschen Strommarktes mit den Nachbarländern, den Atomausstieg und des Erneuerbaren-Ausbaus, habe sich die Wettbewerbssituation deutlich verbessert. Notwendig sei außerdem die Einführung der oben beschriebenen Kapazitätsreserve. 

Grundlage für die Option Kapazitätsmarkt ist die Annahme, dass auch der Strommarkt 2.0 kein ausreichendes Kapazitätsniveau sichern kann. Hauptgrund dafür sei der Umstand, dass Preisspitzen gesellschaftlich und politisch nicht akzeptiert würden. Flexibilitätsoptionen seien nicht ausreichend vorhanden und könnten wegen der fehlenden Preisvolatilität nicht in ausreichendem Maße erschlossen werden. Schließlich könne auch eine Strategische Reserve ausreichende Kapazitäten nicht effizient anreizen. Das Grünbuch geht auch auf die möglichen Kapazitätsmarktmodelle und deren spezifische Konsequenzen ein. Das Grünbuch nennt als wesentliche Konsequenz dezentraler oder zentraler umfassender Kapazitätsmärkte, dass sie auch dazu führen, dass unflexible und emissionsintensive Kraftwerke Zahlungen erhalten. Dezentrale Kapazitätsmärkte erforderten die geringsten Regulierungseingriffe und verursachten von allen Kapazitätsmarktmodellen die geringsten Regulierungsrisiken. Die besondere Herausforderung zentraler umfassender Kapazitätsmechanismen bestehe darin, das Niveau der vorzuhaltenden Kapazitäten richtig festzulegen. Insbesondere träfe diese Herausforderung auf zentrale fokussierte Kapazitätsmärkte zu, in denen nur Teile des Gesamtbedarfs der Leistung ausgeschrieben werden. Zudem müsse sichergestellt werden, dass die ausgeschriebenen Kapazitäten tatsächlich gebaut bzw. weiterbetrieben werden. Für die Option Kapazitätsmarkt ergäbe sich an Handlungsbedarf über die „Sowieso-Maßnahmen“ hinaus: Vordringlich müsse entschieden werden, welches der drei Kapazitätsmarktmodelle eingeführt werden soll. Die Einführung eines Kapazitätsmechanismus führe zu einer deutlichen Übergangsphase, die auch für diese Option die Einführung der oben beschriebenen Kapazitätsreserve notwendig mache. Eine Abstimmung mit der EU-Kommission sei nötig, da die Kommission Kapazitätsmärkte als Beihilfen einstuft. 

Das Grünbuch geht auch auf die Gutachten des BMWi vom August ein. Im Ergebnis rieten die Gutachter in mehreren Gutachten (Frontier Economics, r2b, Connect Energy Economics) von der Einführung von Kapazitätsmärkten ab. Sie erreichten natürlich das Ziel der Absicherung der Versorgungssicherheit, aber zu höheren Preisen, mit höheren regulatorischen Risiken und zum Preis eines höheren CO2-Ausstoßes. Die Absicherung der Versorgungssicherheit könne durch eine Optimierung des Strommarktes (mit den oben beschriebenen Maßnahmen) zum Strommarkt 2.0 kostengünstiger erreicht werden. Die heute bestehenden Überkapazitäten würden durch eine Marktbereinigung verschwinden. Anschließend würden Knappheitssignale und Preisspitzen ausreichende Neukapazitäten anreizen. Über den gleichen Mechanismus könnten die ausreichend zur Verfügung stehenden Flexibilitätsoptionen erschlossen werden. Zentrales Element ist damit die Existenz von Preisspitzen bzw. deren Akzeptanz. Sie führt zu den oben beschrieben Grundannahmen der Option Strommarkt 2.0.

Das Grünbuch können Sie hier herunterladen:

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