Gibt es nicht, geht nicht. Innovationssuche nach #fragMastiaux

Gastautor Portrait

Thorsten Zoerner

Energieblogger @blog.stromhaltig

Seit dem Jahr 2007 beschäftigt sich Thorsten Zoerner mit den Themen Stromnetz und Strommarkt. Parallel dazu entstand der blog.stromhaltig. Über das Thema Energiewirtschaft hat er drei Bücher veröffentlicht. Im 2014 erschienenen Buch zum Hybridstrommarkt entwarf er ein Marktdesign, das in Deutschland in das Gesetzespaket Strommarkt 2.0 aufgenommen wurde. Der Datenanalyst hat sich intensiv mit Digitalisierung in der Energiewirtschaft und mit der Blockchain Technologie befasst. Aus diesem privaten Engagement heraus entstand in 2017 das Unternehmen STROMDAO, das Thorsten Zoerner als Geschäftsführer leitet. DAO steht für "dezentrale und autonome Organisation". Zoerner sieht darin das Herzstück der digitalen Infrastruktur für die Energiewirtschaft der Zukunft.

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16. Februar 2016
EnBW Innovationscampus

Am 11.02.2016 hatte der EnBW Blog Dialog Energie Zukunft zu #fragMastiaux geladen. In 140 Zeichen konnten Fragen auf Twitter einer Antwort durch den Vorstandsvorsitzenden Dr. Frank Mastiaux zugeführt werden. blog.stromhaltig beteiligte sich unter anderem mit der Frage nach Innovation:

 parad

Eine souveräne Antwort, die allerdings den Innovationsstau der Stromversorgungsbranche verharmlost. Auf zur Spurensuche…

„Geht nicht gibt’s nicht!“ , lautete die Tagline des Buches von Überflieger Unternehmer Richard Branson (s. Wikipedia). Ein Motto, welches sehr schön zeigt, was die Welt weiter bringt. Innovation nicht im Keim ersticken, sondern so lange ausdefinieren, bis daraus Wirklichkeit wird. Eine super Motivation für alle, die beteiligt sind, und garantiert mit pandemischer Ansteckungsgefahr.  Die Antriebskraft kann  man leicht durch die Nennung einiger Markennamen erkennen: Twitter, AirBnb, Uber, MyMüsli, Dinnery, …. im Gegensatz zu EON, EnBW, RWE, Vattenfall.

Fängt man bei der Entwicklung von Geschäftsmodellen damit an, zu definieren, warum es nicht funktioniert, so versprüht man unweigerlich den Charme des Chef-Bedenkenträgers und wird niemals in der Liste von Beispielen für Disruptive Technologie aufgenommen werden. Gerade bei den konventionellen  Stromversorgern fällt es schwer ein ewiges Mantra aus „Das haben wir ja noch nie so gemacht“ in ein „Wir wollen, machen und schaffen das“ zu transformieren.

Pizza Margherita ohne Tomatensauce

Das Kundengeschäft eines Energieversorgers ist optimiert auf Masse. Transaktionskosten sind das Schreckgespenst, welche immer dann anfallen, wenn der Kunde wechselt oder sonst irgendwie aus der Reihe tanzt. Die rechtlichen Rahmenbedinungen begünstigen eine Stromwelt, bei der es nichts Individuelles geben darf/kann und Kunde am besten Max Mustermann aus Kassel ist. Der Strompreis, welcher als Einheitsbrei sowohl den Netzausbau als auch die Brennstoffkosten befriedigen muss, erlaubt keine Freiräume für Einzigartiges.

Unter dem Code-Namen „Standardlastprofil demonstriert eine ganze Branche die Unbeweglichkeit. Es verwundet wenig, dass die Frage „Wann gibt es dynamische Strompreise bei der EnBW (für private Stromkunden)?“ # geliked und geretweetet wurde, aber unbeantwortet blieb. Selbst wenn die EnBW wollte, könnte sie keine Antwort geben… obwohl Töchterchen MVV bei der Modellstadt Mannheim bereits die Idee in der Praxis verprobt hatte. (Nachtrag: es gibt doch eine Antwort auf eine etwas abgewandelte Frage: qed)

Jetzt ist die Zeit, in der gerade die vier großen Energieversorger ihre Stärken strategisch ausspielen müssen. Wollen sie in 20 Jahren noch Energieversorger sein, dann müssen sie die Pizzeria sein, bei denen der Kunde eine „Magherita ohne Tomatensauce“ bestellen darf und kommentarlos ein Pizzabrot geliefert bekommt. Es ist nicht das Problem des Kunden, wenn eine Margherita immer Tomatensauce hat.
Scheinbar erkennt ein Großteil der Branche noch nicht, dass das Produkt Strom lediglich darin besteht, eine Absolution für das Weiterdrehen zweier Stromzähler am gleichen Netz zu erteilen. Sobald jemand ein anderes Geschäftsmodell entwickelt, kann es sehr schnell gehen…

Bremsklotz Manufaktur

Zugegeben, der EnBW Innovationscampus  hat Leuchtturm-Charakter. „Think Big“ steht im Zentrum der Wortwolke an der Wand. Ja….

Nehmen wir das Thema Abschaltbare Lasten. Im wilden Südwesten Deutschlands wird weniger elektrische Energie erzeugt, als dort benötigt wird. Weshalb auf eine Knappheit am einfachsten mit Abschalten von Verbrauchern behoben werden kann. Bereits bei der Konsultation zur ABlaV hat man versucht möglichst groß zu denken und hat Großverbraucher auf die Liste der Begünstigten gesetzt. Einige wenige Verträge und eine Verordnung später ist die Energiewelt wieder etwas komplizierter geworden. Kompliziert ist immer auch teuer – die daraus entstandene Umlage auf der Stromrechnung der Kunden ein nachhaltiges Zeugnis.

Angenommen ein Start-Up wäre fernab vom Konzernalltag auf die Idee gekommen, man könnte ein Geschäftsmodell entwickeln, bei dem man viele Wärmepumpen zu einer abschaltbaren Last vereint. Ein Wärmetarif, bei dem die Abschaltzeiten nicht fix vorgegeben sind, sondern dynamisch angepasst werden. Geht nicht, da man individuelle Verträge hätte vereinbaren müssen – genauer gesagt einen neuen Standardvertrag für diesen Fall. Man hätte sich um Fernwirktechnik kümmern müssen, die aber in der Hoheit der Netzbetreiber liegt. Ergebnis: Man lässt lieber alles beim Alten. Wärmepumpen bekommen per Atomzeit den Strom geklaut und der Kunde bleibt im „Wärmetarif“ nach Standardlastprofil.

In einem etwas anderen Zusammenhang hat der Netzbetreiber Syna gegenüber blog.stromhaltig das Dilemma  der Branche unlängst auf den Punkt gebracht:
„Mit ca. einer Millionen Entnahmestellen sind wir im Massengeschäft unterwegs und halten uns an aktuelle Gesetzte und Verordnungen. Dabei agieren wir diskriminierungsfrei.  In der IT-Landschaft der Syna GmbH sind Standardprozess für das Massengeschäfte abgebildet. Individuelle Vereinbarungen werden i.d.R. nicht getroffen.“

In diesem Fall ging es um die Zählerstandsgangmessung, über die von der Syna auch geschrieben wurde. „Nach § 12 Abs. 4 StromNZV haben wir als Netzbetreiber Netznutzern eine Bilanzierung, Messung und Abrechnung auf Basis von Zählerstandsgängen für diejenigen Einspeise- und Entnahmestellen zu ermöglichen, deren Entnahmeverhalten mit Messsystemen im Sinne von § 21d Absatz 1 des Energiewirtschaftsgesetzes ermittelt wird.“

Trifft man beim Innovationscampus auf solche Aussagen eines Marktbegleiters, dann fällt es schwer am „Geht nicht gibt es nicht“ zu glauben.
Man kann die Beispiele der Bremsklötze wahrscheinlich endlos fortführen. Einer noch: An der RWTH-Aachen werden im Zuge des Speichermonitoring personenbezogene Daten sowie Anlagendaten gesammelt. Aus „Batterietechnologie und -kapazität des Batteriespeichersystems“ und „Systemtopologie des Batteriespeichersystems“  lässt sich die Leistung eines Virtuellen-Kraftwerks Deutschland ermitteln, welches bei einer netzdienlichen Nutzung Sekundärregelenergie bereitstellen kann. Anders ausgedrückt: Hier gibt es etwas (Daten) aus dem wegen „geht nicht“ niemals Forschung zu Wertschöpfung wird.
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Dieser Beitrag erschien zuerst im Blog des Autors. Wir danken für die Genehmigung zur Veröffentlichung.

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