Jetzt keine Kapazitätszahlungen für Kohle- und Gaskraftwerke!

Gastautor Portrait

Paul Lehmann

Helmholtz Zentrum für Umweltforschung

Paul Lehmann ist studierter Betriebswirt und promovierter Volkswirt. Er arbeitet im Department Ökonomie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ in Leipzig. Dort leitet er eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe zur sozialwissenschaftlichen Energieforschung. In seiner Forschungsarbeit untersucht er insbesondere die Wirksamkeit und Effizienz von umweltpolitischen Instrumenten der Klima-, Energie- und Wasserpolitik in Deutschland und Europa.

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20. April 2015
Kapaziätsmarkt, Energiewende Aktuell

Zusätzliche Kapazitätszahlungen an die Betreiber von Kohle- und Gaskraftwerken sind gegenwärtig nicht erforderlich, um die Stromversorgung in Deutschland sicherzustellen. Derartige Zahlungen bergen erhebliche ökonomische Risiken und können die Umsetzung der Energiewende gefährden. Stattdessen sollte die Politik auf einen Maßnahmenmix setzen und insbesondere den Strommarkt stärken, die Erzeugung erneuerbaren Stroms bedarfsgerechter gestalten und den Ausbau von Netzen, Speichern und Nachfragemanagement vorantreiben.

Ungeachtet der weithin geteilten Ziele der Energiewende in Deutschland sind doch die Kohlekraftwerk_RDK8konkreten Wege dorthin heftig umstritten. Gegenwärtig ist insbesondere die Frage, ob und wie Versorgungssicherheit im Zuge dieser tiefgreifenden Transformation des Energiesystems gewährleistet werden kann, Gegenstand kontroverser wissenschaftlicher und öffentlicher Debatten. Dabei wurde in letzter Zeit häufig die Forderung laut, dass Kraftwerksbetreiber zukünftig nicht nur für die Erzeugung von Strom, sondern auch für Bereitstellung gesicherter Erzeugungskapazitäten entlohnt werden sollten.

Das Bundeswirtschaftsministerium prüft gegenwärtig die Einführung eines derartigen Kapazitätsmechanismus. Die Einführung von zusätzlichen Kapazitätszahlungen für Kraftwerksbetreiber hätte jedoch weitreichende Folgen für die zukünftige Organisation und Transformation der Stromversorgung in Deutschland. Die diesbezügliche politische Entscheidung, welche noch für dieses Jahr geplant ist, sollte daher nicht ohne eine fundierte, wissenschaftliche Prüfung vorgenommen werden.

Grundsätzlich müssen Maßnahmen zur Gewährleistung von Versorgungssicherheit die Ursachen von Kapazitätsengpässen möglichst umfassend und direkt adressieren. Bei der Ausgestaltung der Maßnahmen sollten dabei neben Versorgungssicherheit auch weitere Ziele wie Wirtschaftlichkeit sowie Umwelt- und Sozialverträglichkeit der Energieversorgung berücksichtigt werden. Diese Anforderungen erfüllen Kapazitätszahlungen nur bedingt. Einmal eingeführt sind sie zudem nur schwer an veränderte Rahmenbedingungen anpassbar, oder gar revidierbar. Das ist insbesondere problematisch, weil derzeit noch unklar ist, ob, wo und in welcher Form Versorgungsengpässe in Deutschland in Zukunft überhaupt auftreten werden. Daher erscheint die Einführung von Kapazitätszahlungen zum gegenwärtigen Zeitpunkt als nicht zielführend.

Sinnvoller wäre vielmehr ein breiter Maßnahmenmix, um die Stromversorgung in Deutschland weiterhin sicherzustellen. Denn Versorgungssicherheit wird nicht nur durch den Einsatz von Kohlekraftwerk, Kohle- und Gaskraftwerken garantiert. Wichtig ist zudem, den Strommarkt an den Bedürfnissen fluktuierender Stromerzeugung auszurichten, etwa durch die Einführung kurzfristigerer Handelsprodukte und kürzerer Gebotsfristen an den Strombörsen sowie Anpassungen des Regelenergiemarktes. Gleichzeitig muss die Einspeisung von Erneuerbaren-Strom bedarfsgerechter gestaltet werden. Hierbei spielt etwa die regelbare Stromerzeugung in Biomasseanlagen eine wichtige Rolle, deren Flexibilitätspotenziale trotz politischer Bemühungen nach wie vor kaum ausgeschöpft werden. Und auch die vermeintlich unflexible Stromerzeugung aus Wind und Sonne kann einen stärkeren Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten, wie dies etwa in Dänemark bereits heute der Fall ist. Beispielsweise können Photovoltaikanlagen gefördert werden, die nach Osten und Westen ausgerichtet sind und somit nicht primär in der Mittagszeit, sondern in den Morgen- und Abendstunden Strom liefern. Entscheidende Beiträge für die Versorgungssicherheit können auch durch den Bau von Netzen und Speichern sowie die Flexibilisierung der Nachfrage erreicht werden. Eine solche Flexibilisierung erfordert, dass die Endverbraucherpreise stärker Überangebote und Knappheiten am Strommarkt widerspiegeln als bisher.

Nur wenn die Gewährleistung von Versorgungssicherheit unter diesen geänderten Rahmenbedingungen trotzdem als zu unsicher erscheint, kann die Einführung eines zusätzlichen Kapazitätsmechanismus erwogen werden. In diesem Fall empfähle sich die Schaffung einer strategischen Reserve, die durch die Regulierungsbehörde oder die Netzbetreiber vorgehalten wird – nicht jedoch die Einführung eines völlig neuen, zusätzlichen Marktsegments durch einen Kapazitätsmarkt.Energy-Trans, Energiewende aktuell, keine Kapazitätszahlungen, Kapaziätsmarkt

Dieser Beitrag beruht auf Forschungsergebnissen der Helmholtz-Allianz „Zukünftige Infrastrukturen der Energieversorgung. Auf dem Weg zur Nachhaltigkeit und Sozialverträglichkeit (ENERGY-TRANS)“. In diesem Rahmen haben Forscher des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ), des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) sowie der Freien Universität Berlin, der Universität Münster und der Universität Stuttgart einen Policy Brief und ein ausführliches Diskussionspapier zur Frage der möglichen Einführung von Kapazitätszahlungen verfasst.

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