War watt? Klimaschutz, Kohleausstieg und Sektorkopplung

Gastautor Portrait

Hubertus Grass

Kolumnist

Nach Studium, politischem Engagement und Berufseinstieg in Aachen zog es Hubertus Grass nach Sachsen. Beruflich war er tätig als Landesgeschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen, Prokurist der Unternehmensberatung Bridges und Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dresden. 2011 hat er sich als Unternehmensberater in Dresden selbständig gemacht.

weiterlesen
27. April 2017
Klimaschutz in der EU

Wie geht es nach der Bundestagswahl mit der Energiewende weiter?

Wann waren die heißesten Jahre seit Beginn der Wetteraufzeichnung? 2014, 2015 und 2016. Welche Folgen hat die Schmelze in der Arktis für den Anstieg des Meeresspiegels? Er wird doppelt so hoch steigen wie bisher angenommen. Werden wir unsere selbst gesetzten Ziele beim Klimaschutz einhalten? Aller Voraussicht nach nicht. Was haben wir unternommen in den vergangenen 16 Monaten, um unseren Beitrag zur Einhaltung des Klimaabkommens von Paris zu leisten? Nichts. Klimaschutz, Kohleausstieg  und Sektorkopplung: Im Jahr der Bundestagswahl scheint die Politik bei den umwelt- und energiepolitischen in einer Art Schockstarre gefallen zu sein. Umso spannender die Frage, wie es nach der Bundestagswahl mit der Energiewende weiter geht.

Die Große Koalition wird den Wahlsiegern bei der Bundestagswahl im September eine Reihe von Großbaustellen vererben. Neben dem schleppenden Verlauf der Energiewende im Allgemeinen und dem Stillstand beim Klimaschutz im Besonderen droht nun auch die Blamage in der EU. Bis zum Jahr 2020 müssen die Mitgliedstaaten der EU einen Anteil von 18 Prozent der Erneuerbaren am Endenergieverbrauch erreichen. Deutschland wird das nicht erreichen. So schnell kann es gehen: Vom Musterschüler beim Klimaschutz zum Klassenclown, dem das Sitzenbleiben droht.

Klimaschutz, Kohleausstieg und Sektorkopplung: Wie weiter mit der Energiewende
Der Bundesverband Erneuerbare Energie zeigt in einer aktuellen Kurzstudie das Scheitern der deutschen Klimapolitik. Durch einen Klick aufs Bild geht es zum Dokument.

Großbaustelle Verkehrswende

Auch bei der Verkehrswende hat sich die amtierende Bundesregierung nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Sie sorgte bestenfalls für Kontinuität, denn in diesem Sektor wurde seit 20 Jahren kein einziges Gramm CO2 eingespart. Der VW-Skandal, Diesel-Gate, ist die nur die Spitze des Eisberges eines Betruges, bei dem die Verbraucher nicht nur millionenfach getäuscht, sondern auch vergiftet werden. Test des Umweltbundesamtes zeigten jetzt, dass moderne Diesel-Fahrzeuge mit Euro-Norm 6, sechsmal so viele Stickoxid ausstoßen wie zulässig. Wie wird eine neue Bundesregierung diese Herausforderung angehen? Sich weiter von der Automobilindustrie wie ein Bär am Nasenring durch die Manege ziehen lassen? Haben die Verkehrspolitiker der großen Parteien mittlerweile bemerkt, dass sie der Industrie und den dort Beschäftigten einen Bärendienst erweisen, wenn sie ihre Politik mit den Chefetagen der Autobranche abstimmen statt am Verbraucher auszurichten?

Und die Elektromobilität? Dank Kaufprämie hat es einen gigantischen Aufschwung gegen. Im Januar kamen 1.323 Elektroautos neu auf die Straßen. 177,4 Prozent mehr als im Januar 2016. Der Anteil beträgt aber nur 0,5 Prozent aller Pkw-Neuzulassungen. Auch hier wird das Klassenziel, eine Million E-Fahrzeuge bis 2020, klar verfehlt. Wo ist die politische Strategie zur beschleunigten Einführung der Elektromobilität, die die deutsche Pole-Position in der globalen Kfz-Branche auch künftig sichert?

Klimaschutz, Kohleausstieg und Sektorkopplung: Was passiert nach der Bundestagswahl?

Dass die Erreichung der Klimaschutzziele mittelfristig einen Kohleausstieg zwingend macht, hat sich mittlerweile außerhalb von Sachsen, Brandenburg und dem IGBCE herum gesprochen. Doch wie soll er ablaufen? Gibt es für die betroffenen Regionen in den deutschen Braunkohle-Revieren Kompensation? Und die modernen Steinkohle-Kraftwerke? Können wir auf die verzichten? Haben die Parteien dazu einen Plan?

Volker Quaschning zeigt in seiner Graphik, welche riesige Kluft zwischen Realität und Klimaschutz in Deutschland klafft.
Entwicklung der deutschen Kohlendioxidemissionen. Daten UBA und Abschätzungen von Volker Quaschning.

Schon der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD sprach von einem „sektorübergreifenden Ansatz, der Gebäude, Industrie, Gewerbe und Haushalte umfasst und dabei Strom, Wärme und Kälte gleichermaßen in den Blick nimmt.“ Doch mit der Sektorenkopplung hat es in der laufenden Legislaturperiode nicht funktioniert. Wird die neue Bundesregierung sich dieser Baustelle annehmen?

Das hört sich gut an, ist aber schon mehr Wahlkampf als konkrete Politik. Als Ministerin hat die Politikerin in der Auseinandersetzung am Kabinettstisch – auch mit ihren Parteikollegen – nicht viel für den Klimaschutz bewegen können.

Wir haben die im Bundestag vertretenen Parteien gefragt, was sie in der nächsten Legislaturperiode vor haben. Uns treibt nicht nur die Neugier, wie es mit der Energiewende weiter geht. Wir wollen den Leserinnen und Lesern des Blogs auch einen Service für die Wahlentscheidung bieten. Was unterscheidet die energiepolitischen Positionen von CDU, CSU, SPD, Linken und Grünen? Welche Ideen eignen sich für die Praxis?
Die nächsten Wochen bei uns im Blog stehen ganz im Fokus der Bundestagswahl. Wir beginnen inhaltlich mit der Energiewende im Allgemeinen und dem Sektor Strom. Dabei soll es um den erreichten Stand, die Bedingungen der Fortsetzung, den Ausbau der Erneuerbaren, die Umsetzung des Abkommens von Paris, das Klimaschutzziel 2020 und die weiteren Schritte beim Klimaschutz gehen.

Über die Energie- und Klimapolitik mit den Parteien diskutieren

Danach geht es ab ca. Mitte Mai um die Verkehrswende. Wie bekommen wir den Klimaschutz auf die Straße? Warum gibt es in diesem Segment seit 1990 keinerlei Erfolge? Was beabsichtigen die Politiker zu unternehmen, um die Menschen besser vor dem Feinstaub zu schützen? Wie bekommen wir ein Million Elektroautos und mehr auf die Straßen? Wir sind gespannt auf die Antworten.
Thema der dritten Runde ab dem 22. Mai wird die Wärmewende sein. Auch hier liegen die Fragen auf der Hand, denn die Energiewende war bislang eine Veranstaltung, die sich fast ausschließlich auf dem Stromsektor abgespielt hat. Der Klimaschutzplan 2050 setzt auch für den Gebäudebereich und die industrielle Wärme ganz klare Vorgaben. Wie können wir diese erreichen? Welche Maßnahmen schlagen die Parteien vor?

Doch die Parteien sollten nicht unter sich bleiben. Wir hoffen auf eine rege Diskussion hier im Blog. Ab Dienstag geht es los. Diskutieren Sie mit über die energie- und klimapolitischen Positionen der Parteien.

Diskutieren Sie mit

  1. Jeffrey Michel

    vor 7 Jahren

    Gibt es einen bestimmten Grund, warum die AfD bei den hier aufgezählten Parteien nicht genannt wird? Sie hat immerhin ihren beachtlichen Aufstieg in Sachsen-Anhalt offenbar dem dortigen Teilausstieg aus der Braunkohle zu verdanken. Das dürfte deren Bundestagswahlstrategien in Brandenburg und in Sachsen aufgefallen sein, wo inzwischen auch weniger Braunkohle abgebaut werden soll.

    Hier eine Karte mit den Landtagswahlergebnissen in LSA.

    http://heuersdorf.de/AfD-LSA2016.jpg

  2. Hubertus Grass

    vor 7 Jahren

    Lieber Herr Michel,
    wir haben nur die im Bundestag vertretenen Parteien angefragt. Für die Positionen von AfD und FDP, di evtl. auch dem nächsten Bundestag angehören könnten, verweisen wir auf deren Wahlprogramme:
    https://www.alternativefuer.de/wp-content/uploads/sites/111/2017/03/2017-03-08_afd_leitantrag-bpt-btw-programm_mit-zeilennummern-1.pdf

    https://www.fdp.de/sites/default/files/uploads/2017/03/31/170330-entwurf-bundestagswahlprogramm-fdp.pdf
    Mit freundlichen Grüßen
    Hubertus Grass
    Moderator

    1 0

Ich akzeptiere die Kommentarrichtlinien sowie die Datenschutzbestimmungen* *Pflichtfelder

Artikel bewerten und teilen

War watt? Klimaschutz, Kohleausstieg und Sektorkopplung
4.2
10