Große Projekte in einem kleinen Dorf – das NETZlabor Sonderbuch

Gastautor Portrait

André Großhans

Netze BW GmbH, Projektleiter NETZlabor Sonderbuch

André Großhans, Jahrgang 1984, absolvierte ein duales Studium des Wirtschaftsingenieurwesens an der Berufsakademie Stuttgart und war nach seinem Diplomabschluss im Jahr 2007 zunächst als technischer Einkäufer bei einem Automobilzulieferer tätig. Ab Herbst 2008 belegte er den Masterstudiengang SENCE (Sustainable Energy Competence) an der Hochschule für Technik Stuttgart. Seit seinem Masterabschluss im Jahr 2010 arbeitet der Autor als Ingenieur bei der Netze BW GmbH (vormals EnBW Regional AG) in energiewendespezifischen Aufgabengebieten. Die Projektleitung des NETZlabors Sonderbuch hat er im Jahr 2017 übernommen.

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26. März 2018

In Sonderbuch, einem Dorf auf der schwäbischen Alb mit etwa 190 Einwohnern, übersteigt die Einspeiseleistung in Spitzenzeiten sechs Mal die maximale Last. Durch diese hohe Durchdringung an Photovoltaik repräsentiert Sonderbuch ein besonders geeignetes Experimentierfeld, um Konzepte und Betriebsmittel zu erforschen, um Netzausbau im Zuge der Energiewende in Zukunft zu reduzieren oder zu verschieben. Sonderbuch ist damit zu einem zentralen NETZlabor für die Niederspannung geworden. Die Netze BW erprobt hier im realen Netz, d. h. mit echten Kunden und im laufenden Netzbetrieb, innovative Technologien und Prozesse für die Integration von Photovoltaik-Strom.

Bisherige Projekte

Aus dem starken Zubau dezentraler Erzeugung ergibt sich eine regelmäßige Umkehr des Lastflusses. Verletzungen des zulässigen Spannungsbandes und Überlastungen von elektrischen Betriebsmitteln können weitere Folgen sein. Dies erfordert massive Investitionen zur Erhöhung der Anschlusskapazität durch größere Querschnitte der Leitungen und Erhöhung der Leistungsfähigkeit der Transformatoren.

Im NETZlabor Sonderbuch setzt die Netze BW jedoch seit 2011 mit Partnern aus Wissenschaft und Industrie auf innovative Technik: Intelligente Zähler sowie Messungen an strategischen Knotenpunkten und den Niederspannungsabgängen der drei Ortsnetzstationen liefern signifikante Daten zum aktuellen Netzzustand. Aus den gewonnen Daten erfolgte u. a. die Entscheidung zur Installation einer der ersten regelbaren Ortsnetztransformatoren (rONT) im Netzgebiet der Netze BW. Dieser regelbare Transformator reagiert automatisch auf sich ändernde Netzzustände und verhindert wirksam Spannungsbandverletzungen. Außerdem wurde ein Lithium-Ionen Batteriespeicher installiert, der sekündlich zwischen Speicherung und Einspeisung umschalten kann.

Wie alle Komponenten möglichst optimal zusammenspielen wurde durch den Einsatz eines intelligenten Verteilnetz-Management Systems untersucht und umgesetzt. Dafür wurde das von der SPIE SAG GmbH entwickelte System „iNES“ im NETZlabor Sonderbuch implementiert.

Hier ein Erklärfilm mit detaillierten Informationen zu diesen Projekten:

 

U-Control Feldtest im Jahr 2016

Eine umfassende Untersuchung aller derzeit verfügbaren innovativen Spannungshaltungskonzepte und zu deren Zusammenspiel im Netzbetrieb wurde im Rahmen des Forschungsprojekts U-Control vorgenommen. Im NETZlabor Sonderbuch erfolgte hierfür ein Feldtest mit dem Ziel, einen Wirksamkeitsvergleich der Spannungshaltungskonzepte zu erhalten. Im Fokus stand die Blindleistungsbereitstellung von Photovoltaik Anlagen bzw. deren Wechselrichter.

Um die Konzepte zu testen, wurde das NETZlabor Sonderbuch im Sommer 2016 kurzzeitig mit einem E-Mobil samt 22 kW-Wallbox und einem Einzelstrangregler ausgestattet. Ergänzt wurde das Testsystem mit dem Einsatz des Lithium-Ionen Batteriespeichers und des regelbaren Ortsnetztransformators (rONT). Wichtige Erkenntnisse zur Blindleistungsbereitstellung von Photovoltaik Anlagen im Realbetrieb konnten dabei gewonnen werden und flossen in den weiteren Projektverlauf von U-Control ein. Beispielsweise folgte 2017 eine Eingabe des U-Control Konsortiums an das Forum Netztechnik/Netzbetrieb im VDE (FNN) zur Neufassung der VDE-AR-N 4105, u. a. mit dem Ziel die Q(U)-Regelung als deutschlandweiten Standard in der Niederspannung einzuführen.

Das neue Forschungsprojekt „Smart Grid Demonstrator“

Seit Mitte 2017 wird in Kooperation mit der Universität Stuttgart ein „interaktiver Smart Grid Demonstrator“ für das NETZlabor Sonderbuch entwickelt. Im Rahmen dieses Demonstrators soll eine baukastenbasierte Lösung zur Überwachung und Steuerung des NETZlabors geplant, umgesetzt und erprobt werden.

Aktuelle Netzzustände sollen dabei auf Basis verteilter Messungen ermittelt bzw. über eine Zustandsschätzung in der Niederspannung identifiziert werden. Betriebliche Flexibilitäten werden in den Demonstrator in einem Baukasten-Prinzip integriert. Dabei wird deren Wirkungsweise berechnet bzw. gemessen und in einer Visualisierung dargestellt. Zusätzlich sollen die betrieblichen Flexibilitäten und ausgewählte Photovoltaik Anlagen durch den Demonstrator angesteuert werden, so dass einerseits eine manuelle Steuerung durch den Verteilnetzbetreiber und andererseits ein automatisierter Betrieb durch den Smart Grid Demonstrator ermöglicht wird.

Darüber hinaus ist eine Day-Ahead Vorhersage über die Netzzustände geplant, inklusive der Ermittlung von Fahrplänen für die einzelnen Flexibilitäten. Auf Basis von Last- und Erzeugerprognosen sollen die Netzzustände für den Zeithorizont eines Tages bestimmt und Empfehlungen für den Einsatz der Flexibilitäten gemacht werden.

Installation von Mess- und Steuertechnik für den „Smart Grid Demonstrator“

Im Rahmen einer Bürgerinformationsveranstaltung in Sonderbuch wurde am 26.02.2018 das neue Vorhaben vorgestellt. Dabei wurden die ortsansässigen Bürger über das Forschungsprojekt informiert und dazu aufgerufen, mit ihren Anlagen (sowohl Photovoltaik als auch Bezugs-Hausanschlüssen) daran teilzunehmen. Im Frühjahr 2018 gilt es jetzt, die technischen Voraussetzungen für den Einbau der Messgeräte und Steuerboxen bei den Interessenten vor Ort zu klären. Im Anschluss sind weitere Details, wie die Datenverarbeitung oder auch Entschädigungen beim möglichen Abregeln der Einspeisung, vertraglich zu vereinbaren. Bis zum Herbst 2018 sollen alle Geräte installiert und die Datenübertragung aufgebaut sein, sodass ab dann das Gesamtsystem erprobt und bis zum geplanten Projektende im Jahr 2020 weiter optimiert werden kann.

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