Von der Turnschuhschnittstelle zur integrierten Verbundleitwarte

Gastautor Portrait

Peter Breuning

Abteilungsleiter Netzleittechnik / Technischer Service, Stadtwerke Schwäbisch Hall GmbH

Peter Breuning ist Abteilungsleiter Netzleittechnik / Technischer Service bei den Stadtwerken Schwäbisch Hall GmbH. Zudem engagiert er sich als Dozent an der Hochschule Heilbronn, als Sprecher des IDS Anwenderforum und Mitglied der Arbeitsgruppe FNN. Darüber hinaus ist er als Leiter der Arbeitsgruppe Netze in der Smart Grids-Plattform Baden-Württemberg e.V. aktiv und verantwortet das Teilprojekt „Netze“ im SINTEG-Schaufenster C/sells.

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01. März 2018
Peter Breuning, Stadtwerke Schwäbisch Hall

Die Stadtwerke Schwäbisch Hall, ein kommunales Querverbundunternehmen in Baden-Württemberg, versorgen rund 75.000 Einwohner in Schwäbisch Hall und den angrenzenden Gemeinden mit Strom, Gas, Wasser und Wärme. Weitere Sparten sind die Bäder und Parkierung in Schwäbisch Hall. Über die Verbundleitwarte erfolgt bundesweit die Netzführung für 20 Stadtwerke in drei Regelzonen.

Dies ist eine Dienstleistung, für die sich die Teilnehmer aufgrund der Komplexität der Prozesse und des Kostendrucks durch die Regulierung auf die jeweiligen Netze entschieden haben. Die Verbundleitwarte ist nach Certified Grid Control und ISMS 27001 zertifiziert. Bis April 2018 wird die Verbundleitwarte im Rahmen der VDE Anwendungsregel 4140 an den vorgelagerten Netzbetreiber via „Blackout sicheren Satellitenverbindung“ angeschlossen.

Flexibilitäten online ansteuern – für mehr Erneuerbare im Netz

Damit kann die Leitstelle Schwäbisch Hall bereits heute im Störfall in den Netzebenen übergreifenden operativen und informatorischen Abstimmungsprozess („Abstimmungskaskade“) automatisiert eingebunden werden. Als Basis dafür dient u.a. die VDE-Anwendungsregel 4140. Diese beschreibt den Prozess für die §13(2) EnWG Kaskade. Ziel ist u.a der Austausch von Informationen über die jeweilige Einspeisesituation und eine quasi Online-Ansteuerung von Flexibilitäten.

Ein weiterer Baustein ist die Umsetzung der Dienstleistung Smart Meter Gateway Admin, die durch Schwäbisch Hall in Kooperation mit Südwest Strom in Tübingen erfolgt. Somit kann die gesamte Prozesskette bei Netzeingriffen über die Verbundleitwarte in Schwäbisch Hall erfolgen.

Derzeit sorgen vier hochperformante Server des Netzführungssystems für den stabilen Betrieb aller Systeme. Auf dem Server Schwäbisch Hall wird das Hosting der Software für alle Partner durchgeführt. Je nach Dienstleistungsvertrag können die Partner die Bildgenerierung selbst oder durch die Ingenieuere in Schwäbisch Hall durchführen lassen. Durch das Hosting sparen sich bei der derzeitigen „Inflation“ von Vorschriften und Gesetzen alle Partner enorme Investitionskosten.

Mit der Energiewende neue Tätigkeitsfelder erschließen

Weitere neue Dienstleistungsfelder werden derzeit erschlossen. Unter anderem erfolgt zukünftig die Dienstleistung auch für die Campus der Universität in Gandhigram (Südindien). Derzeit werden die vorhanden Netzstationen an das Netzführungssystem in Schwäbisch Hall angeschlossen. Überwacht wird das Strom- und Wassernetz. Auftragggeber ist die Deutsche Entwicklungsgesellschaft. Ziel ist die Erstellung einer Studie über den Aufbau des ersten Multi-Utility-Untenehmens in Asien mit den Sparten Strom Biogas, Wasser, Wärme- und Kälteversorgung. Das Projekt wurde angestoßen, da derzeitig massive Probleme bei der Energie- und Wasserversorung den Betrieb des Campus beeinträchtigen.

Die in das Netz der Stadtwerke Schwäbisch Hall einspeisenden Kraftwerke stellen eine besondere Herasuforderung dar: in das Mittel- und Niederspannungsnetz speisen derzeit Kraftwerke mit einer Gesamtleistung von 156 MW ein – bei einer Netzabgabe von nur 70 MW. Dies bedeutet teilweise eine Lastumkehr. Der erzeugte Strom wird über das 110 KV Netz zurückgespeist.

Digital gekoppelte Verbundleitwarte

Schwäbisch Hall verantwortet  die Leitung des Teilprojektes TP 6 von C/sells . Aus zuvor Gründen wurde vereinbart, die Stadtwerke als ersten Verteilnetzbetreiber Ebene 2 an den vorgelagerten Netzbetreiber anzuschließen. Das geschieht mittels einer störfall- und „Hacker-sicheren“ Kopplung über Fernwartechnik. Ziel ist die gegenseitige Information auf elektronischem Weg. Zusammen mit der TransnetBW erfolgt die Umsetzung des sogenannten Awareness-Systems Baden-Württemberg.

Bei diesem System unterrichten sich die Netzbetreiber online gegenseitig über die jeweilige Einspeisesituation. So tragen sie zur Stabilität des Netzes in der Regelzone, in Deutschland und Europa bei. Nach erfolgreicher Umsetzung des Awareness-Systems Baden-Württemberg werden die Stadtwerke Schwäbisch Hall gemeinsam mit den weiteren Regelzonenbetreibern, Tennet und Amprion, die Kopplung via Satelliten vornehmen. So unterstützen wir auch hier im Rahmen der Dienstleistung die Kollegen der anderen Stadtwerke und Übertragungsnetzbetreiber. Die Kopplung ersetzt den bisherigen zeitaufwändigen und fehlerbehafteten Austausch der Daten über Mailverkehr. Sonst wären die zeitlichen Vorgaben gemäß der VDE Vorschrift VDE-AR-N 4140 nicht einzuhalten.

Nachstehende Abbildung zeigt den Informationsaustausch zwischen der NetzeBW als Verteilnetzbetreiber Ebene 1 in Baden-Württemberg mit den nachgelagerten Netzbetreibern.

Darstellung: Stadtwerke Schwäbisch Hall / Netzleittechnik
Darstellung: Stadtwerke Schwäbisch Hall / Netzleittechnik

Energiewende in den Netzen europäisch denken

In der nächsten Grafik ist der Eingriff in die Netze zur Stabilisierung des Gesamtnetzes in Europa dargestellt. Über den Übertragungsnetzbetreiber werden die nachgelagerten Netzbetreiber aufgefordert, entsprechende Maßnahmen schnell einzuleiten. Denn die Anwendungsregel des VDE schreibt hier eine maximale Zeitdauer von Aufforderung bis Ausführung von maximal 12 Minuten vor. Zusätzlich werden über eine neu zu entwickelnde Software auch längere Zeiträume betrachtet, um die Maßnahmen entsprechend durchzuführen bzw. netzsicher zu planen. Hierbei wird im Rahmen des Projektes eine sogenannte Prognoseampel entwickelt. Sie arbeitet auf Basis von Istwerten. Aktuelle Wetterdaten, erfasst von drei Wetterstationen im Netz, werden dabei ebenso verarbeitet wie die wichtigen Parametern der Kraftwerke.

Vernetzung von PV, Speichern, Ladestationen

Die Prozesskette reicht bis zum Niederspannungsnetz. Darüber werden die PV-Anlagen auf den Dächern der Häuser, die Batterieanlagen in Häusern und Netzzellen, die Ladestationen für die Umsetzung der Elektromobilität vernetzt. Auch hier werden Ampeln in den Systemen eingesetzt . Diese warnen die Netzführer vor Problemen, die zukünftig durch die Einspeisesituation entstehen können.

Darstellung: Stadtwerke Schwäbisch Hall / Netzleittechnik
Darstellung: Stadtwerke Schwäbisch Hall / Netzleittechnik

Die Vernetzung von Einspeisungen, Batterieladesäulen, Batteriespeichern ist ein weiterer Arbeitsschritt. Mit der Umsetzung wird bewiesen, dass Investitionen in „ Hirnschmalz“ besser sind, als alle Niederspannungs-Netze in Deutschland neu zu bauen, was zu einer weiteren Steigerung der Netzentgelte führen würde – und somit höhere Kosten für alle Verbraucher mit sich bringt. Die Nutzer der Ladestationen werden via App und Navigation an öffentliche Ladesäulen geführt, bei sich zu Hause erhält er Infos über die mögliche Ladeleistung etc.

Mehr „Hirnschmalz“ anstelle komplettem Neubau von Netzen

Alle Prozesse sichern zusammen somit ein stabiles elektrisches Netz, keine Ausfälle bei 100% Einsatz EE, keine Verschwendung- sondern vielmehr ein sinnvoller Einsatz von Forschungsmitteln. Nach Umsetzung aller Prozesse können somit die Teilnehmer aus Industrie und Forschung die Lösung in die „Welt“ tragen. Es wird der Exportschlager ohne Mogelsoftware.

Darstellung: Stadtwerke Schwäbisch Hall / Netzleittechnik
Darstellung: Stadtwerke Schwäbisch Hall / Netzleittechnik

Komfort und Transparenz

Natürlich ist auch der zusätzliche Komfort ein unschlagbares Argument für die Menschen in Deutschland. Nehmen wir mal an, Sie kaufen ein neues Auto mit elektrischen Antrieb. Via App und Navigation wird Ihnen die nächste Ladesäule mit Kapazität angezeigt, Sie wählen die Station. In Ihrem Einfamilienhaus, Wohnung etc. angekommen sehen Sie die möglich Ladeleistung Ihrer Ladestation im Carport, Sie sehen den Ladezustand Ihrer Batterieanlage, die Einspeisung Ihrer PV Anlage und natürlich auch die Abrechnung. Dies ist das Kapitel Komfort und Information für Jedermann und die Sichtbarmachung technischer Innovationen.

Nach Umsetzung der Ziele haben wir sichere Netze, zufriedene Bürger, einen Exportschlager, neue Arbeitsplätze und viele weitere bisher unbekannte soziale Bindungen, um miteinander die sogenannte Neuzeit zu gestalten. Eine Art Evolution des „Miteinanders – wir schaffen es!“

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