War watt? Grass stromert durchs Netz

Gastautor Portrait

Hubertus Grass

Kolumnist

Nach Studium, politischem Engagement und Berufseinstieg in Aachen zog es Hubertus Grass nach Sachsen. Beruflich war er tätig als Landesgeschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen, Prokurist der Unternehmensberatung Bridges und Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dresden. 2011 hat er sich als Unternehmensberater in Dresden selbständig gemacht.

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13. Juni 2014

Die Zustimmung zur Energiewende sinkt. Das vermuten viele. Bei uns im Blog hatte Gastautor Ben Schlemmermeier zuletzt die Befürchtung ausgesprochen, dass am Ende der langen, nicht nachvollziehbaren Diskussionen die Bürger der Energiewende überdrüssig werden. Wir lernten aber auch von Victor Hugo: Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist. Und die Energiewende ist so ein mächtiges Ding.
83% der Bürger in den G7-Staaten wollen laut einer Umfrage von TNS Emnid eine Energiezukunft, die auf Erneuerbare statt auf Kohle, Öl, Gas und Atomkraft setzt. In Italien liegt die Präferenz für die Erneuerbaren bei 91%, in den USA immerhin noch bei 71%, wir liegen mit 83% in der Mitte. Greenpeace hatte die Umfrage in Auftrag gegeben. Nach diesem Pfingstwochenende, das alle Wetterrekorde brach, ist es beruhigend zu wissen, dass es anscheinend doch so etwas gibt wie eine kollektive Vernunft.

Weil auch die kollektive Vernunft mal Urlaub braucht, wurden Ereignisse wie die Fußballweltmeisterschaft erfunden. In dieser Phase darf sich dann eine immer betont sachliche Frau wie unsere Bundeskanzlerin mal von ihrer emotionalen Seite zeigen. Schon am Montag fliegt sie rüber nach Brasilien, um unseren Jungs beizustehen und mit zu fiebern. Zur Fußball-WM reist sie, zum Weltklimagipfel nach New York nicht
Die falsche Prioritätensetzung sei das, so twittert die Umweltszene und liegt damit energiepolitisch falsch. In New York beim Klimagipfel, das weiß die Kanzlerin, schaut die Welt auf die Großmächte und Großverschmutzer: China und die USA werden im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses und alle anderen werden im Schatten stehen. Für eine Bundeskanzlerin sind die Tribünen der Stadien in Brasilien lohnender.  Umweltschützer fordern  stets den effizienten Einsatz von Energie. Mit ihrer Entscheidung zeigt die promovierte Physikerin Angela Frau Merkel, dass ihr beim effizienten Einsatz von Energie politisch so leicht keiner was vormacht. 

Vor ein paar Wochen hatte ich an dieser Stelle auf ein krasses Werbevideo von Solar Roadways hingewiesen, eine junge Firma, die sich vorgenommen hat, den Asphalt auf den Straßen durch Solarmodule zu ersetzen. Was ich für eine schnell zu vergessende Anekdote des Netzes hielt, ist nun ein richtiges Projekt. Spiegel Online berichtete jetzt, dass Solar Roadway Dank ebendieses Videos mehr als 40.000 Unterstützer beim Crowd-Funding fand und weitaus mehr als die geplante eine Millionen US $ einsammeln konnte. Jetzt gehen die Solarstraßen in die Serienproduktion.

Windkraft18520[1]Windkraftanlagen werden immer größer, weil mit zunehmender Höhe der Wind stetiger und heftiger weht. Beim Wind wächst die Energie mit der dritten Potenz der Geschwindigkeit; verdoppelt sich die Windgeschwindigkeit, verachtfacht sich folglich der Energiegehalt. Statik und Kosten setzen herkömmlichen Windkraftanlagen Grenzen bei der Eroberung jener Windschichten, die ganz besonders ertragreich sind. Solche Höhen sind aber kein Problem für Winddrachen, wie sie die Firma NTS (Nature Technology Systems) baut.
W
inddrachen erzeugen Strom, in dem sie in Höhen zwischen 200 und 500 Metern kreisen und auf der Erde per Seil auf Schienen sitzende Generatoren im Kreis herum ziehen. Das Windkraft-Journal berichtete jetzt, dass NTS derzeit Kapital in Höhe von 3,5 Mio. Euro via Crowdfunding einsammeln will, um den Bau einer ersten, X-Wind genannten Anlage zu finanzieren.
Die neue Technologie hat den Vorteil, geringere Materialkosten mit einer höheren Auslastung zu kombinieren. Zudem funktioniert das Prinzip an der Küste ebenso wie im Binnenland. Das Crowdfunding führt der Anbieter Deutsche Mikroinvest durch.

Mit jeder neuen technologischen Entwicklung in der Erzeugung bei den ErneuerbarenMastklein Energien wächst der Druck, bezahlbare Speicher auf den Markt zu bringen. Dabei konkurrieren verschiedene Verfahrenswege und technologische Ansätze. Die Kollegin Susanne Ehlerding vom Blog umspannen.de weist darauf hin, dass auch beim Speichern des Stroms Innovationen nicht immer hoch kompliziert sein müssen. Das Unternehmen ARES aus Kalifornien will Energie speichern, in dem Loks bei Stromüberangebot Betongewichte von 300 Tonnen auf einen Berg ziehen und diese potentielle Energie bei Strombedarf auf der Fahrt bergab wieder in Strom zurück verwandelt wird. 85% Wirkungsgrad verspricht ARES-Ingenieur Matt Brown. Ein Pumpspeicherwerk – statt Wasser nehme man Beton.

Holger Krawinkel, der auch bei uns im Blog schon schrieb, nennt es Gabriels Dilemma. Das im Blog der Phasenprüfer beschriebene Problem trifft uns aber alle. Unser Stromsystem wird im hohen Maße von Fixkosten getrieben, die sich aus dem Verkauf von Kilowattstunden refinanzieren. Wenn wir alle Energie sparen wie die Weltmeister würde das wenig Auswirkungen auf die Kosten des Gesamtsystems haben. Ähnlich verhält es sich beim Anstieg der Eigenstromerzeugung. Was ökologisch wünschenswert ist, schafft ökonomische Verteilungsprobleme, weil gleiche Kosten auf weniger Köpfe verteilt werden müssen. Die Eigenstromumlage (40% der EEG-Umlage sind derzeit im Gespräch) soll diese Entwicklung bremsen. Damit wäre das EEG das erste Gesetz auf der Welt, das gleichzeitig eine Entwicklung forcieren (per Einspeisevergütung) und bremsen will (per Sonnensteuer). Wie weit mag jemand kommen, der bei angezogener Handbremse aufs Gas drückt?

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  1. Dirk Kaiser

    vor 10 Jahren

    Was ist hier im Beitrag mit „kollektiver Vernunft“ gemeint?
    Meint der Autor so etwas wie „Schwarm-Intelligenz“, wo die Intelligenz einzelner Individuen (Physiker, Maschinenbauer, Elektroingenieure) die in Bezug auf Energiethemen „hohe Intelligenz“ des großen Schwarms von Politikwissenschaftlern, Sozialpädagogen (u.ä.) und einer durch entsprechende Informationspolitik „informierte“ breite Masse gegenübergestellt wird und dann auf die erfolgreichen Wendemanövern von Fischschwärmen zur Kollisionsvermeidung als Überlegenheit der „Schwarmintelligenz“ verwiesen wird?
    Dabei hat das Verhalten der Fischschwärme doch nichts mit „Intelligenz“, sondern vielmehr mit der Reaktion auf einen äußeren Reiz (Verhalten/Richtungswechsel des unmittelbaren Nachbarn im Schwarm) zu tun.
    Eine solche Argumentation soll wohl psychischen Druck aufbauen, damit sich alle Individuen dem „intelligenten Schwarm“ unterordnen?
    .
    Und als Belohnung für die Selbstaufgabe gibt’s auch ein Lob von der Meinungsobrigkeit: Ihr seid vernünftig… oder… Ihr tut das Richtige… bravo!
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    Bestimmt habe ich mich geirrt und hier etwas völlig Falsches hineininterpretiert…
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  2. Dirk Kaiser

    vor 10 Jahren

    Herr Grass,

    weshalb denn auf einmal so dünnhäutig? Sie haben mir unterstellt, ich würde leugnen, dass sich das Klima wandelt und das ist einfach falsch. Und deshalb darf eine Richtigstellung wohl erlaubt sein!
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    Wenn Sie mich (unterschwellig) vor Ihren beiden Bloglesern so hinstellen, als würde mir Nachhaltigkeit und Umwelt völlig egal sein, so darf ich Ihnen nochmals versichern, dass dem nicht so ist. Ich bin nur jemand, für den wissenschaftliche Beweise mehr wiegen als ein politischer Glaube! Ich sehe mit Sorge die wachsende Verschmutzung der Meere durch Plastikmüll - das Thema sollte mal angegangen werden, ist den entsprechenden Protagonisten aber wohl nicht spektakulär genug!
    .
    ... im Übrigen haben Sie offensichtlich ja auch keinen Beweis für die Richtigkeit Ihrer Annahme ("wir gehen davon aus, das...")... wollen aber "die ganze Welt" dazu animieren, sich im vorauseilenden Gehorsam selbst zu kasteien und geduldig ständig steigende Ablasszahlungen zu leisten.
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    Sachliche Diskutanten, die hier einen Kommentar hinterlassen und diese anhand von Berechnungen und Quellen belegen, scheinen Ihnen ein Dorn im Auge zu sein, während Kommentare, die wissenschaftlich und praktisch absoluter Unsinn sind, oder die hier offen Lobbyarbeit für die Öko-Klientel betreiben, dafür aber die (Ihrer Ansicht nach) korrekte "politische Einstellung" werden hofiert!
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    Die positive Darstellung der eigenen Auffassung ist das Eine. Wenn das allerdings soweit geht, dass das Gesamtbild nicht mehr realistisch gezeigt wird, ist das in meinen Augen schon sehr grenzwertig - oder haben Sie einen Missionierungsauftrag?
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    Als Moderator haben Sie natürlich die Möglichkeit, mich zu sperren, weil ich eine andere Auffassung vertrete... aber dann müssen Sie bei gleichgesinnten (Herrn Zoerner?) nachfragen, ob die Ihnen nicht einmal einen beklatschenden, bestätigenden Kommentar in "Ihren Blog" schreiben, damit überhaupt jemand schreibt... Ich Ihnen dennoch ein schönes Wochenende!
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  3. Hubertus Grass

    vor 10 Jahren

    Dass Ihnen der Beweis für den vom Menschen verursachten Klimawandel fehlt, haben Sie jetzt schon zig-fach geäußert und wir haben es verstanden.
    Bitte nehmen Sie zur Kenntnis: Wir gehen davon aus, dass der Mensch das Klima ändert. Wir gehen davon aus, die Energiewende ist nötig. Der Blog ist dazu da, um über ihre Gestaltung zu diskutieren.
    Zu diesem Thema haben Sie noch nicht einen Satz gesagt. Sie sind hier am falschen Ort. Gibt es im Netz keinen Ort, an dem über Pro und Contra des anthropogenen Klimawandels diskutiert wird? Gibt es im großen Internet keinen lauschigen Platz, an dem sich dich Liebhaber der alten Energiewelt zum Stelldichein verabreden?

    Sie verlieren hier Worte über Worte, wiederholen sich ständig und haben in der Sache nichts, aber auch gar nichts beizutragen.

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  4. Dirk Kaiser

    vor 10 Jahren

    Vielen Dank für die Klarstellung!

    ... und vielleicht noch eine Anmerkung: Ich "leugne" mitnichten, dass sich das Klima wandelt! Allein seit Bestehen des Neuzeitmenschen hat sich "das Klima" mehrfach, mal schneller, mal etwas langsamer "gewandelt"... mal war es kälter, zu anderen Zeiten wieder wärmer. Als Beispiel sei nur das mittelalterliches Klimaoptimum angeführt, einer Zeit, in der sich der Weinbau in Europa ausweitete, Grönland von den Wikingern besiedelt wurde, die Alpengletscher sich zurückzogen usw.
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    Was mir unbekannt ist, ist ein wissenschaftlicher unwiderlegbarer Nachweis darüber, dass die in den letzten 120 Jahre erlebte Erhöhung der globalen Temperaturen um 0,8 Grad das Ergebnis für des Ausstoßes von anthropogenen CO2 ist. Dagegen spricht u.a., dass in den letzten gut 17 Jahren - trotz Rekordemissionen von CO2, keinerlei Temperaturerhöhung mehr feststellbar ist.
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  5. Moderator, Hubertus Grass

    vor 10 Jahren

    Gemeint, werter Herr Kaiser,
    ist eine ethische Vernunft im Sinne des Kantschen kategorischen Imperatives (" „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde").

    Das Maß, in dem die industriell entwickelte Welt den Globus ausgebeut und verschmutzt hat, führt auf Dauer zum Kollaps der ökologischen Systeme. Da immer mehr Staaten sich unserem Lebensstandard bei gleichzeitig wachsender Weltbevölkerung angleichen, wächst die Bedrohung expotentiell. Der Klimawandel, den Sie leugnen, ist nur eine von zahlreichen ökologischen Herausforderungen, der aus unserer Lebens- und Produktionsweise resultiert. Andere sind der Verlust an Arten, an Urwäldern und an Lebensräumen, die Ausbreitung der Wüsten, die Verschmutzung und Übersäuerung der Meere - um nur einige zu nennen.

    Die zitierte Umfrage ist ein Hinweis darauf, dass viele Menschen wissen, dass wir alles andere als pfleglich mit diesem Planeten umgehen und es höchste Zeit für eine Richtungsänderung ist. Sie erwarten von der Politik Weichenstellungen im Sinne des kategorischen Imperativs. Das nenne ich kollektive Vernunft.

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