Aktueller Stand und Entwicklung der Windkraft in der Türkei

Gastautor Portrait

Dr. Stefan Winkelmüller

Gastautor

Dr. Stefan Winkelmüller ist seit 2009 für die Koordination der Projektaktivitäten zwischen der EnBW und ihrem türkischen Joint Venture EnBW Borusan Energy zur Windenergie, Wasserkraft und Solarenergie zuständig. Nach einem Physikstudium in Aachen hat er in München an verschiedenen Themen zu Erneuerbaren Energien und deren Systemintegration gearbeitet und nebenberuflich promoviert. Bei der Arbeit mit deutschen und türkischen Kollegen machen ihm vor allem die interkulturellen Aspekte und das Lernen voneinander in internationalen Teams Spaß.

weiterlesen
23. Oktober 2015

Eine stark wachsende Stromnachfrage, ideale natürliche Windbedingungen und ehrgeizige Ausbauziele: Die Voraussetzungen für die Windkraft in der Türkei sind gut. Das türkische Energieministerium hat sich zum Ziel gesetzt, die Windenergie bis zum Jahr 2023, dem 100. Geburtstag der Türkischen Republik, auf 20.000 MW auszubauen. Das langfristige wirtschaftliche Potenzial wird bei entsprechendem Netzausbau deutlich darüber liegen.

Balabanli

Ressourcen, historische Entwicklung und politische Ausbauziele

Hervorragende natürliche Bedingungen für die Windenergie ermöglichen an Onshore-Standorten 2.500 bis 3.800 Volllaststunden jährlich (Vbh/a) (zum Vergleich: Deutschland Onshore ca. 1.300 bis 2.500 Vbh/a, Durchschnitt Bestandsanlagen Deutschland Onshore 2013 ca. 1.700 Vbh/a, allerdings auch mit durchschnittlich älterem Anlagenbestand als in der Türkei).

Quellen: für historische Entwicklung: Turkish Wind Energy Statistics Report, January 2015; für Ziele: National Renewable Energy Action Plan for Turkey, Ministry of Energy and Natural Ressources, December 2014
Quellen: für historische Entwicklung: Turkish Wind Energy Statistics Report, January 2015; für Ziele: National Renewable Energy Action Plan for Turkey, Ministry of Energy and Natural Ressources, December 2014.

Ende 2014 waren rund 3.700 MW Windenergie-Leistung am Netz. Die Entwicklung gewinnt zunehmend an Schwung – im Jahr 2014 wurden 804 MW zugebaut, weitere 1.200 MW waren Anfang 2015 laut Angaben des türkischen Windenergieverbands in Bau. Man kann aber auch sehen, dass bis zur Erreichung des ambitionierten Ziels des Energieministeriums „20.000 MW Wind in 2023“ noch eine weitere Beschleunigung der Entwicklung nötig ist – hierzu wäre im Durchschnitt ein jährlicher Zubau von 1.800 MW in den Jahren 2015 bis 2022 notwendig.

Dass der Staat grundsätzlich die Entwicklung der erneuerbaren Ressourcen und insbesondere der Windenergie unterstützt, daran besteht kein Zweifel. Ein Grund dafür ist unter anderen, dass die hohen Gasimporte der Türkei einen wesentlichen Beitrag zum Handelsbilanzdefizit leisten. Deshalb setzt der türkische Staat auf den Ausbau der erneuerbaren Energieträger, aber auch auf heimische Energieträger wie Braunkohle.

Regulatorisches Umfeld

Es gibt ein „Türkisches EEG“ bzw. Regelungen zur Einspeisevergütung seit dem Jahr 2005, welche in mehreren Schritten überarbeitet wurden, zuletzt mit dem „New Energy Market Law“ aus dem Jahr 2013 und der teilweise noch in Ausgestaltung befindlichen sekundären Gesetzgebung. Vereinfacht funktioniert dies für die Windenergie wie folgt:

  • Einspeisevergütung
    Der türkische Staat zahlt dem Windparkbetreiber eine Einspeisevergütung in Höhe von 7,3 USD-cent pro eingespeister kWh für die ersten 10 Jahre ab Inbetriebnahme. Durch die Kopplung an die stabilere US-Währung wird die Planungssicherheit für ausländische Investoren erhöht. Jeder Windparkbetreiber kann jährlich wählen, ob er im nächsten Jahr die Einspeisevergütung in Anspruch nehmen möchte oder die produzierte Energie direkt an der Strombörse verkauft. Durch die Verwendung „heimischer Komponenten“ kann die Einspeisevergütung erhöht werden. Viele internationale Turbinenhersteller haben deshalb begonnen, die Türme der Windanlagen in der Türkei zu fertigen. Auch eine Rotorblattfertigung in der Türkei ist bei einigen Herstellern in Planung. Die Kernkomponenten der Anlagen werden allerdings wohl noch längere Zeit im Ausland gefertigt werden.
  • Ausschreibungsmodell und Versteigerung von Windlizenzen
    Zum Betrieb der Windparks ist eine Lizenz nötig. Bei der Vergabe von Lizenzen setzt der türkische Staat seit längerem auf ein Ausschreibungsmodell. Investoren können sich um eine Windlizenz bewerben, im Falle mehrerer Bewerber gibt es eine Versteigerung. Im Gegensatz zu anderen Ländern (z.B. aktuelle Versteigerungsrunden für solare Großprojekte in Deutschland) wird hier nicht auf die Höhe einer Einspeisevergütung geboten, sondern auf die Höhe eine Abschlagszahlung (Royalty) an den Staat. D.h. der Investor, welcher die Versteigerung gewinnt, erhält zwar die oben beschriebene feste Einspeisevergütung von 7,3 USD-cent, muss aber in den ersten drei Jahren ab Inbetriebnahme jeweils die Royalty (z.B. 100 EUR/kW installierte Leistung) bezahlen. Es herrscht ein reger Wettbewerb, und gute Projekte sowie eine gute Einschätzung der Standorte auf Basis von Windmessungen sind wesentlich für den Projekterfolg. Die Vergabe der nächsten 3.000 MW Windlizenzen wird voraussichtlich zwischen Ende 2015 und Anfang 2016 stattfinden.
  • Umfangreicher Genehmigungslauf
    Auch in der Türkei sind zahlreiche behördliche Genehmigungen für den Bau eines Windparks notwendig, zu Themenfeldern wie Umweltverträglichkeitsprüfung, Flächennutzungsplan, Netzanschluss, Wechselwirkung z.B. mit Flughafenradaranlagen, technische Genehmigungen und Baugenehmigungen. Die Abfolge einzelner Schritte ist etwas anders als in Deutschland, aber der Umfang der nötigen Genehmigungen und der Einfluss auf den zeitlichen Projektablauf sind durchaus vergleichbar. Ein gutes Projektmanagement ist zur Koordination der zahlreichen Anforderungen unbedingt notwendig.

Aktivitäten der EnBW in der Türkei

Die EnBW ist seit 2009 im Rahmen eines Joint Ventures mit dem türkischen Partner Borusan in der Türkei aktiv. Insgesamt beschäftigt das Joint Venture derzeit rund 100 Mitarbeiter im Hauptsitz in Istanbul sowie den Projektstandorten. Im Windbereich sind derzeit 287 MW an fünf Projektstandorten erfolgreich in Betrieb, viele weitere Projekte sind in Entwicklung.

Der Windpark Koru des deutsch-türkischen Gemeinschaftsunternehmens Borusan EnBW Enerji.
Der Windpark Koru des deutsch-türkischen Gemeinschaftsunternehmens Borusan EnBW Enerji.

Fazit

Einerseits bietet die Türkei der Windenergie ein viel versprechendes Umfeld mit hohem Potenzial, sehr guten Windressourcen und weiterhin sehr guten Wachstumschancen. Andererseits bietet die Windenergie der Türkei die Chance, die Abhängigkeit von Primärenergieimporten und das Handelsbilanzdefizit zu verringern. Dies wird von der Regierung gesehen und die Windenergie wird entsprechend unterstützt. Dennoch besteht ein sehr komplexes regulatorisches Umfeld mit hohem Wettbewerb. Für Investoren und Projektentwickler sind ein systematisches Management der vielen Anforderungen und ein langer Atem wichtig.

tuerkei_hinweis

 

Weitere Informationen:

Eine gute Anlaufstelle ist die Internetseite des türkischen Windenergieverbands. Hier sind auch Kartendarstellungen mit operativen Projekten sowie diverse gut gepflegte Statistiken verfügbar.

Eine gute Übersicht über allgemeine regulatorische Entwicklungen bietet die registrierungspflichtige, aber in der Grundversion kostenlose Seite „Mondaq“ (Filter für Türkei und „Energy and Natural Resources“ setzen).

Diskutieren Sie mit

Ich akzeptiere die Kommentarrichtlinien sowie die Datenschutzbestimmungen* *Pflichtfelder

Artikel bewerten und teilen

Aktueller Stand und Entwicklung der Windkraft in der Türkei
4.8
15