Energiewende braucht intelligentes Lastmanagement

Gastautor Portrait

Martin Steurer

Universität Stuttgart

Martin Steurer studierte Umweltschutztechnik an der Universität Stuttgart und der Chalmers University of Technology in Göteborg, Schweden. Seit 2013 ist er Stipendiat an der Graduierten- und Forschungsschule Effiziente Energienutzung Stuttgart (GREES) sowie wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung (IER) an der Universität Stuttgart in der Fachrichtung energiewirtschaftliche Systemanalyse.

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27. Januar 2016

Auf dem Transformationspfad hin zu einer weitgehend dekarbonisierten Energieversorgung in Deutschland spielt die zunehmende Nutzung der Stromerzeugung aus Windkraft und Photovoltaik (PV) eine wesentliche Rolle. Dabei ist eine zentrale Frage, wie hohe Anteile verteilter und dargebotsabhängiger Einspeisung, unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Akzeptanz und der Versorgungssicherheit, möglichst effizient in das bestehende System integriert werden können. Dafür stehen viele unterschiedliche technologische Optionen zur Verfügung. Bei der Umsetzung wird entscheidend sein, wie ein sinnvoller Mix der Optionen zur Systemflexibilisierung gestaltet wird. Möglichkeiten bieten der weitere Leitungsausbau, die Flexibilisierung von Erzeugungsanlagen, die Speicherung, ein sektorübergreifender Stromeinsatz (Power-to-X) sowie die Flexibilisierung der Verbraucherseite (demand side integration, DSI).

intelligentes Lastmanagement

Bild 1 illustriert die dadurch auftretenden technischen Herausforderungen.

Chancen durch demand side integration (DSI)

DSI stellt wegen des hohen technischen Potenzials sowie des häufig geringen Erschließungsaufwands eine besonders vielversprechende und schnell verfügbare Option dar. Weitere Vorteile ergeben sich aus der großen regionalen Verteilung von DSI-Potenzialen. Somit können sowohl auf lokaler als auch auf systemweiter Ebene Bilanzausgleiche zwischen Stromangebot und -nachfrage erfolgen sowie Systemdienstleistungen wie Regelleistung bereitgestellt werden. Die vorhandene Energieinfrastruktur lässt sich dadurch effizienter nutzen und neue Investitionen, beispielsweise in Spitzenlastkraftwerke, können vermieden werden.

Auf Seiten der Verbraucher in Gewerbe und Haushalten bietet DSI Chancen zur Senkung der Energiekosten und zur Generierung von Vermarktungserlösen durch die systemdienliche Flexibilisierung geeigneter Stromverbraucher oder Eigenerzeugungsanlagen.

Ziele: Valide empirische Datengrundlage und ganzheitliche Bewertung

Das im Juli 2015 erschienene Weißbuch „Ein Strommarkt für die Energiewende“ der Bundesregierung zeigt, dass in der aktuellen öffentlichen Debatte zur Energiewende das Thema DSI eine wichtige Rolle einnimmt, jedoch noch Bedarf für eine genauere Analyse der vorhandenen Potenziale und ihrer Nutzungsmöglichkeiten gesehen wird. Bestehenden Untersuchungen zu DSI in Deutschland basieren weitgehend auf theoretischen Ansätzen und erscheinen daher nur bedingt geeignet, eine belastbare Analyse zum Potenzial von DSI im Rahmen der weiteren Entwicklung des Energiesystems in Deutschland zu ermöglichen.

Die Arbeit verfolgt vor diesem Hintergrund zwei wesentliche Ziele. Zum einen soll mit Hilfe umfangreicher empirischer Erhebungen und statistischer Analysen die Datengrundlage hinsichtlich der realen Nutzbarkeit von DSI-Potenzialen deutlich verbessert werden. Zum anderen sollen valide Aussagen getroffen werden, welchen Beitrag DSI im Rahmen der Weiterentwicklung des Energiesystems leisten kann. Dazu werden DSI-Optionen in ein umfassendes Optimierungsmodell des europäischen Strommarkts integriert, mit Berücksichtigung von Interferenzen und alternativen Potenzialen anderer Flexibilisierungsoptionen.

DSI-Potenziale können bei passendem Rahmen erheblichen Beitrag leisten

Als ein Ergebnis der Potenzialcharakterisierung zeigt Bild 2 eine Kosten-Potenzial-Kurve der DSI-Optionen in Deutschland. Dargestellt ist die für DSI nutzbare Leistung mit dem dazugehörigen Nutzungsaufwand (dunkelblaue Kurve/Primärachse) und Erschließungsaufwand (dunkelrote Kurve/Sekundärachse), jeweils als Durchschnittswerte. Die hellblauen bzw. -roten Bereiche um die beiden Kurven kennzeichnen das ermittelte Fehlermaß bei DSI-Potenzialen und -Kosten.

Intelligentes Lastmanagement

Große Verbraucher sind günstiger zu erschließen als kleine, da bei ihnen die notwendigen Investitionskosten für Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) weniger stark ins Gewicht fallen. Wichtig ist neben den Kosten aber auch die Flexibilität der DSI-Optionen. Die Kälteanlagen in Kühlhäusern sind ein gutes Beispiel für eine DSI-Option mit geringen Kosten und relativ hoher Flexibilität. Die Modellanalysen zeigen, dass die Nutzung solcher Optionen einen hohen Systemnutzen stiften kann. Für die Betreiber der Anlagen kann das attraktive Erlöse bedeuten.

Um dies zu erreichen, wären von der Politik im Rahmen des neuen Strommarktgesetzes bestehende regulatorische Hemmnisse, insbesondere im Bereich der Netzentgeltsystematik, kontinuierlich abzubauen und von den Verbrauchern und Dienstleistern bestehende, ungenutzte Potenziale auf wirtschaftliche Realisierbarkeit hin zu prüfen.

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